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Flucht im Mondlicht

Flucht im Mondlicht

Titel: Flucht im Mondlicht
Autoren: N. H. Senzai
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Spaß gemacht, diese Fotos zu schießen? Hast du etwas dabei gelernt?«, fragte er.
    Fadi sah die gelassene Miene seines Vaters und war im ersten Augenblick zu verwirrt, um zu antworten. Er erinnerte sich an die Begeisterung, die er empfunden hatte, als er mit Habib den Tag in San Francisco verbracht hatte und die Fillmore Street auf und ab gelaufen war. Es war auch ein Vergnügen gewesen, mithilfe von Anh, Abai und Dada seine zweite Fotoserie zu schießen. Und allmählich war er dahintergekommen, wie man in der Dämmerung perfekte Bilder machte, was gar nicht so einfach war. »Klar hat es mir Spaß gemacht – und ich habe auch etwas dazugelernt.«
    »Na also, das ist die Hauptsache«, sagte Habib. »Es geht nicht nur ums Gewinnen, Fadi, Jan . Rumi sagt, wenn wir etwas aus dem Herzen heraus tun, durchströmt uns Freude wie ein Fluss. Deshalb sollen wir Dinge tun, die wir lieben, Fadi. Man weiß nie, welche Früchte daraus erwachsen.«
    Fadi seufzte über Habibs philosophische Ausführungen. Aber Vater, in diesem Fall ging es nur ums Gewinnen , dachte er. Er nahm allen Mut zusammen, um Habib noch etwas anderes zu sagen. Er wollte ihm erzählen, wie es dazu kam, dass Mariam von ihnen getrennt wurde, aber dann pfiff der Teekessel. Habib wandte sich ab und Fadi verließ der Mut.
    Selbst Noor hatte mit keiner Wimper gezuckt, als er ihr nach der Schule erzählt hatte, dass er ihr Geld vergeudet hatte. »Du hast es zumindest versucht, Brüderchen«, hatte sie gesagt. Dann hatte sie ihr Haar zurückgeworfen und war zur Arbeit geeilt, bevor er auf Mariam zu sprechen kommen konnte.
    Warum sind sie bloß so verständnisvoll? Sie müssten stocksauer auf mich sein und mich einen Versager schimpfen. Aber sie wissen ja nicht, dass ich es war, der Mariam verlor. Und nun habe ich eine weitere Chance, sie zu finden, verspielt .
    Fadi blickte aus dem Zugfenster und fasste einen Vorsatz. Ich muss endlich reinen Tisch machen . Er verheimlichte die Wahrheit schon zu lange, und das zerfraß ihn innerlich. Es war gut gewesen, dass er sich Miss Bethune anvertraut hatte, aber er musste auch seiner Familie alles erzählen. Wo ist mein Ehrgefühl ? Er straffte sich. Heute Abend werde ich Vater, Mutter und Noor sagen, dass es meine Schuld war, dass Mariam von uns getrennt wurde . Nach dem Abendessen würde er seiner Familie erzählen, was wirklich geschehen war, und endlich die Verantwortung dafür übernehmen, dass Mariam in Dschalalabad zurückgeblieben war.

Das Exploratorium
    Fadis Gedanken kreisten immer noch um sein geplantes Geständnis, als er merkte, dass der Zug langsamer wurde und in den Bahnhof von West Oakland einfuhr. Das war die letzte Haltestelle östlich der Bucht, danach ging es hinüber nach San Francisco. Nachdem der Zug weitere Passagiere aufgenommen hatte, glitt er in einen Tunnel, der abwärts führte. Kurz flackerten die Lichter und die Passagiere saßen im Dunkeln. Fadi bekam ein mulmiges Gefühl und hielt sich an seinem Sitz fest. Im nächsten Augenblick gingen die Lichter flackernd wieder an und der Zug schoss vorwärts.
    Oh, ich glaube, mir wird schlecht , dachte er und blickte nach oben. Über dem Tunnel wogten Abertausende Tonnen Wasser.
    »Alles in Ordnung, Fadi«, flüsterte Anh. »Denk an unser Kunstprojekt – Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer . Stell dir vor, wir sind im Unterseeboot, der Nautilus .«
    Fadi lachte trocken. Seine Anspannung ließ etwas nach. Nach wenigen Minuten tauchte der Zug am anderen Ufer wieder auf, wurde langsamer und fuhr in den Embarca­dero-Bahnhof ein. Von dort aus führte Miss Bethune ihre Schützlinge zur Straßenbahnhaltestelle, wo sie die Linie vier zum Marina-Bezirk nahmen.
    »Ich liebe diese Stadt«, schwärmte Anh. Sie presste die Nase gegen das Fenster und schaute hinaus, als wollte sie jeden Eindruck in sich aufsaugen.
    Die Stadt war schön, für die Weihnachtszeit herausgeputzt. An den Bäumen funkelten bunte Lichter und die Fassaden der Geschäfte wetteiferten um die festlichste Dekoration.
    »Mir ist sie zu überfüllt«, sagte Fadi. Er beobachtete die Scharen von Menschen, die, mit Einkaufstüten bep ackt, den Bürgersteig entlangströmten. »Ich brauche mehr freie grüne Natur.«
    »Aber hier ist so viel los«, sagte Anh. »Es gibt so viel zu sehen, zu unternehmen und zu essen.«
    »Das Wetter ist zu verrückt«, sagte Fadi. Er betrachtete den Nebel, der in dicken Schwaden über der Bank of America hing und die Sonne verhüllte. Drüben in Oak­land hatte noch die
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