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Flucht im Mondlicht

Flucht im Mondlicht

Titel: Flucht im Mondlicht
Autoren: N. H. Senzai
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schwarzen Turbanen ein Schulverbot für Mädchen. Damit zerschlug sich Safunas Hoffnung, eine Schule eröffnen zu können. Die einst angesehenen und hoch gelobten Taliban wurden so tyrannisch wie die Kriegsherrn und Diktatoren, die sie bekämpft und entmachtet hatten. Und als sie Habib zwingen wollten, sich ihnen anzuschließen, wusste er, dass seine Familie nicht länger in Afghanistan bleiben konnte.
    Fadis düstere Gedanken wurden von einer Stewardess unterbrochen, die ihren Rollwagen neben ihnen anhielt. Noor erwachte aus ihrer Trance und zog ihre Ohrhörer heraus.
    »Sie haben heute die Wahl zwischen zwei Gerichten«, sagte die Stewardess mit einem strahlend weißen Lächeln. »Hähnchen mit Nudeln oder Fisch auf Pilau-Reis.
    Fadi starrte sie ein paar Sekunden lang verständnislos an. Sein Gehirn musste sich erst wieder an die englische Sprache gewöhnen, trotz des täglichen Unterrichts, den er und Noor zu Hause von ihrer Mutter erhalten hatten. »Hähnchen? Was ist ›Hähnchen‹? Ach ja, Tscharg . Hähnchen bitte«, sagte er.
    »Hähnchen«, erwiderte Noor. »Bitte«, fügte sie nachträglich hinzu. Sie schob Fadis Ellbogen von der Armlehne. »Mach dich nicht so breit. Das ist mein Platz.«
    Fadi zog schnell den Arm weg. Er wollte sie nicht provozieren. Sie hatte wieder einmal schlechte Laune. Die S tewardess reichte ihnen die Tabletts, dann wandte sie sich an ihre Eltern.
    »Zwei Mal Fisch, bitte«, sagte Habib und klappte sein Tischchen und das seiner Frau herunter.
    Als Habib die dampfenden Tabletts entgegennahm, öffnete Safuna die Augen. Dank der Medikamente, die der Arzt in Peschawar ihr gegeben hatte, ging es ihr ein bisschen besser, aber sie war immer noch schwach.
    »Versuch etwas zu essen, Safuna, Jan «, flüsterte Habib. »Du musst bei Kräften bleiben.«
    Safuna rollte die Alufolie zurück und inspizierte das Fischfilet, das auf einem Häufchen gelbem Reis lag. Als sie die Gabel in die Hand nahm, füllten ihre Augen sich mit Tränen. »Wie kann ich essen, wenn ich nicht weiß, ob mein kleines Mädchen hungrig ist?«, flüsterte sie.
    »Mariam wird gefunden werden«, sagte Habib mit tiefen Sorgenfalten in seinem glatt rasierten Gesicht.
    »Du hättest noch einmal nach Dschalalabad zurückkehren sollen«, sagte Safuna.
    Fadi sah, wie sich die Miene seines Vaters verdüsterte. »Ich fand keine Spur von Mariam und niemanden, der sie gesehen hatte, Safuna, Jan . Ich hätte es fast nicht mehr über die pakistanische Grenze geschafft. Ich musste den Grenzposten mit unserem letzten Bargeld bestechen.«
    Fadi grub die Fingernägel in seinen Sitz. Vier Tage lang hatten sie voller Angst auf Habib gewartet. Wenn die Taliban ihn erwischt hätten, wäre er im Gefängnis gelandet oder Schlimmeres. Als er schließlich schmutzig und er­schöpft zurückkam, hatten sie erleichtert aufgeatmet. Aber er hatte keine Spur von Mariam gefunden.
    »Dann hätten wir in Peschawar bleiben sollen«, sagte Safuna und wandte das Gesicht von ihrem Essen ab.
    »Das ging doch nicht, Safuna, Jan «, sagte Habib geduldig. »Wir hatten die Weiterreise schon so lange wie möglich aufgeschoben. Wir mussten aufbrechen. Sonst wären die Fristen in unseren Asylpapieren abgelaufen. Dann wären wir heimatlos gewesen. Wir hätten weder nach Afghanistan zurückkehren noch in Pakistan bleiben können.«
    »Aber Mariam ist dort ganz allein«, stieß Safuna hervor.
    »Mutter«, flüsterte Noor und beugte sich über den Gang zu ihr hinüber. »Vater hat getan, was er konnte.«
    Safunas gerötete Augen füllten sich erneut mit Tränen und sie hüllte sich fröstelnd in ihren Wollschal.
    »Deine Cousine Nargis hat in Peschawar eine ganze Mannschaft losgeschickt, die sich nach Mariam umhört«, sagte Habib und rieb Safunas Hände, um sie zu wärmen. »Nargis versprach, uns sofort anzurufen, sobald sie irgendetwas erfährt. Und Professor Sahib fährt mit seinen Söhnen nach Dschalalabad, um entlang der afghanischen Grenze nach Mariam zu suchen.«
    »Aber …«, begann Safuna.
    »Mutter«, unterbrach Noor sie. »Mariam ist eine amerikanische Staatsbürgerin, deshalb halten auch Leute vom amerikanischen Konsulat nach ihr Ausschau. Und ich half Tante Nargis, im Büro des International Rescue Com­mittee Fotos von Mariam aufzuhängen. Wenn sie über die Grenze kommt, werden sie sie finden.«
    »So viele Leute suchen nach ihr, sogar deine alte Schulfreundin, die wir im Büro der UNO -Flüchtlingshilfe getroffen haben«, sagte Habib. »Sie wird uns
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