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Fliegende Fetzen

Fliegende Fetzen

Titel: Fliegende Fetzen
Autoren: Terry Pratchett
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Konnte man aus dem Adel verstoßen werden? Er beschloß, bei nächster Gelegenheit in den Büchern nachzusehen. Doch wenn man daran dachte, was Lords in der Vergangenheit angestellt hatten… Vermutlich mußte man sich etwas sehr Schlimmes zuschulden kommen lassen, um wieder zu einem gewöhnlichen Bürger zu werden.
    Die ersten Entwürfe der Statue sahen recht gut aus. Und Mumm wußte inzwischen auch, was demnächst in den Geschichtsbüchern stehen würde. Wie sich herausstellte, war es ganz einfach, Einfluß auf die Geschichte zu nehmen: Man mußte nur die richtigen Worte niederschreiben. Darauf lief alles hinaus: auf Worte in Büchern.
    »Also gut!« rief Ridcully, um das vielstimmige Murmeln zu übertönen. »Wenn wir jetzt alle munter marschieren und Lord… Komman… Sir Samuel folgen, sollten wir spätestens bis halb zwei zum Mittagessen zurück sein. Ist der Chor bereit? Niemand tritt jemand anderem auf den Saum des Umhangs? Dann los!«
    Mumm ging mit den obligatorischen langsamen Schritten und hörte, wie sich die Prozession hinter ihm in Bewegung setzte. Bestimmt gab es Probleme, wie immer bei solchen Anlässen; normalerweise hervorgerufen durch Alte und Taube sowie Junge und Dumme. Vermutlich waren einige Leute bereits in die falsche Richtung unterwegs.
    Als er den Hiergibt’salles-Platz erreichte, ertönten Geräusche, die Spott und Blähungen ausdrückten – die übliche akustische Kulisse bei einer ausreichend großen Menschenmenge. Hinzu kamen traditionelle Bemerkungen wie »He, der Bursche sieht wie ein Idiot aus«. Doch hier und dort erklangen auch einige jubelnde Stimmen.
    Mumm versuchte, starr geradeaus zu blicken.
    Seidenstrümpfe. Mit
Strumpfbändern.
Nein, ausgeschlossen. Für Sybil war er zu vielem bereit, aber wenn es in ihrer Beziehung jemals Strumpfbänder geben sollte, dann auf jeden Fall nicht bei ihm. Außerdem hatte man ihn immer wieder darauf hingewiesen, daß er einen purpurnen Mantel mit Gezieferpelz tragen sollte. Auch das kam nicht in Frage.
    Mumm hatte eine verzweifelte Stunde in der Bibliothek verbracht und über goldene Knöpfe, Seidenstrümpfe und ähnlichen Unsinn gelesen. Tradition? Er würde den Leuten zeigen, worin wahre Tradition bestand. So wie er die Sache sah, hatten die
ersten
und
ursprünglichen
Herzöge ordentliche Kettenhemden mit Blut daran getragen, vorzugsweise das ihrer Gegner…
    Jemand schrie in der Menge. Mumm drehte den Kopf und bemerkte eine füllige Frau, die auf dem Boden saß und mit beiden Armen winkte.
    »Er hat mir die Handtasche gestohlen! Ohne das Abzeichen der Diebesgilde zu zeigen!«
    Die Prozession hielt an, als Mumm einer Gestalt nachsah, die über den Hiergibt’salles-Platz rannte.
    »Bleib stehen, Sidney Greifzu!« rief er und stürmte los.
    Nur wenige Leute wissen, was es mit der Tradition
wirklich
auf sich hat. Ihre innere Natur zeichnet sich durch eine gewisse geheimnisvolle Lächerlichkeit aus.
Einst
gab es einen Grund dafür, am Seelenkuchendienstag einen kleinen Strauß Schlüsselblumen zu tragen, aber
heute
macht man das nur noch, weil… weil es sich so gehört. Außerdem ist die Intelligenz des Wesens namens »Menschenmenge« nicht höher als die Quadratwurzel der Anzahl aller Personen.
    Mumm lief, und der Universitätschor folgte ihm eilig. Die Leute hinter dem Chor beobachteten eine rasch breiter werdende Lücke und versuchten, sie zu schließen. Und dann liefen auch alle anderen, weil alle anderen liefen.
    Ein gelegentliches Wimmern stammte von denen, deren Herzen, Lungen oder Beine solchen Belastungen nicht gewachsen waren. Außerdem ertönte eine Art donnerndes Schnaufen: Der Erzkanzler hatte versuchte, dem Ansturm standzuhalten, und nun mußte er erleben, wie sein Kopf immer wieder aufs Kopfsteinpflaster getreten wurde.
    Sidney Greifzu, Lehrling in der Diebesgilde, rannte noch schneller, weil er einen Blick über die Schulter geworfen und festgestellt hatte, daß ihn die ganze Gesellschaft von Ankh-Morpork verfolgte – so etwas hinterläßt einen ziemlich nachhaltigen Eindruck auf einen Heranwachsenden.
    Und Sam Mumm rannte. Er streifte den Umhang ab, warf den mit Federn ausgestatteten Helm fort und rannte und rannte.
    Später mochten sich Probleme ergeben. Die Leute würden Fragen stellen. Aber das kam später. Jetzt gab es nur eins: Herrlich unkompliziert und wundervoll sauber, hoffentlich ohne Ende und unter einem blauen Himmel, in einer makellosen Welt, war er auf der
Jagd.
     
     
     
     

Inhaltsangabe aus
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