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Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman
Autoren: Ned Beauman
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ersten Mal etwas Stärkeres als den Schaum auf dem Ale seines Vaters. Man verzog unwillkürlich das Gesicht, aber wenn man genug davon trank, fühlte es sich an, als entdecke man in seinem eigenen Haus ein verborgenes Zimmer, von dessen Existenz man nichts geahnt hatte. Man wollte nicht bloß um die Ecke spähen. Man wollte seine Dimension erfassen.
    Für den Fall, dass jemand zusammengeschlagen werden musste, benutzte Kölmel nie einen Jungen, der unter fünfzehn oder sechzehn war, denn sie waren nicht stark genug und ließen sich zu leicht in die Flucht schlagen, aber als Sinner zwölf geworden war und alle sehen konnten, dass er der stärkste Junge in seiner Straße war und vor nichts Angst hatte, belegte Frink ihn bereits mit Beschlag. Kölmel allerdings hatte damals, als niemand außer seinem Vetter ahnte, wie gut dieser winzige Newcomer wirklich war, ein solches Vermögen durch Wetten auf Sinners erste Kämpfe im Premierland verdient, dass er Sinner praktisch immer noch als Angestellten betrachtete und offiziell »Interesse« an der Karriere des Jungen anmeldete. Das bedeutete, dass seine Männer kein Geld mehr von Sinners Vater erpressten, obwohl Sinner sagte, dass sie sich nur bedienen sollten. In Wirklichkeit betrieb Kölmel die alte Erpressung von Schutzgeldern nur noch aus sentimentalen Gründen – nach allem, was Sinner gehört hatte, war inzwischen mit Huren, Marihuana und gefälschten Schecks hundertmal mehr Geld zu machen, als man unter Androhung einer Rasierklinge aus den altbackenen Brotlaiben, den matschigen Äpfeln und knorrigen Schweinefüßen des angeschlagenen Spitalfields Market herausquetschen konnte.
    »Wie geht’s jetzt weiter?«, fragte Kölmel in Sinners Garderobe.
    Da waren sie also, Sinner, der sich in seinem grünen Thron zurücklehnte, und Kölmel, der davorstand wie ein Bittsteller. Es spiegelte die wahren Verhältnisse nicht wider, aber es gefiel Sinner nichtsdestoweniger.
    »Ich will nach Amerika gehen«, sagte Sinner. »New York.«
    »Ich meine deinen nächsten Kampf.«
    »Keine Ahnung. Frag Frink.«
    »Was willst du denn in Amerika?«
    »Da drüben gibt’s richtiges Geld. Und alle sagen, dass man wie ein König behandelt wird.«
    »Vollidioten, die Amerikaner. Außer meinem Halbbruder.«
    Sinner zuckte wieder mit den Schultern. Er dachte an seinen Vater, der aus einem Dorf in Ostpolen gekommen war und dessen Reise nur deshalb in dem jüdischen Heim in der Leman Street geendet hatte, weil er von dem Schiff geworfen worden war, das ihn in die Vereinigten Staaten bringen sollte.
    »Du bist ja sehr gesprächig heute Abend«, sagte Kölmel. »Hast du ein Mädchen, das auf dich wartet?« Er war hässlich, wenn er lächelte.« Na sicher. Steck einen für mich mit rein, Sohn.« Kölmel wusste nicht, was Frink wusste.
    Nachdem Kölmel gegangen war, trank Sinner noch etwas Gin, zog sich an und bestellte telefonisch ein Taxi, das ihn von Bethnal Green nach Covent Garden bringen sollte.
    VERBRINGEN SIE NACH EINEM
ANSTRENGENDEN TAG DEN ABEND IN
The Caravan
81 Endell Street
(Ecke Shaftesbury Avenue, gegenüber dem Princes Theatre)
Telefon: Temple Bar 7665
Londons größter Künstlertreffpunkt, bekanntlich
der unkonventionellste Ort der Stadt
ALLNÄCHTLICHER FROHSINN     Tanzen mit Charlie
REGELMÄSSIGE NÄCHTLICHE AUSFLÜGE
ZU ANDEREN UFERN (PIK-AS ETC. )
    Das West End war inzwischen von diesen kleinen Karten überschwemmt, aber Sinner hatte direkt vom Gründer des Clubs von der Eröffnung des Caravan erfahren; Will Reynolds war ein Spieler, Box-Aficionado und bekannter Lebemann aus Soho, und er war wild entschlossen, den schlechtestmöglichen Gebrauch von den dreihundert Pfund zu machen, die er von einer presbyterianischen Großtante geerbt hatte. Der Club im Souterrain war mit Lackmöbeln, roten Hängelaternen und bemalten Seidenvorhängen in unbestimmt orientalischem Stil eingerichtet. Wie jede Nacht wimmelte es auch heute von Menschen. Die Kapelle spielte »When I Take My Morning Promenade«. Später würde es eine Travestieshow geben.
    Sinner kam gern unmittelbar nach einem Kampf hierher, ohne sich vorher zu waschen. Alle anderen Männer hatten Seife benutzt, sich sogar parfümiert, aber er stank, und in dem Gedränge an der Bar war das nicht zu verkennen. Es war, als würde er mit heraushängendem Schwanz herumlaufen. Ein paar Leute begrüßten ihn, aber heute Abend hatte er bereits genug vom Reden, deshalb bestellte er einen doppelten Gin, stellte sich ans Ende der Bar und
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