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Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman
Autoren: Ned Beauman
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bin?«
    »Und doch ein Kämpfer von bemerkenswerter Kraft und Geschicklichkeit, wenn man den Berichten Glauben schenken darf. Ihr Vater, heißt es, ist ebenso klein, und auch sein Vater war es?«
    »Ja.«
    »Und Sie haben nur neun Zehen, wenn ich nicht irre?«
    »Was für ein ›Angebot‹?«
    »Darf ich mich setzen?«
    »Nein.«
    »Mr.   Roach, ich würde Ihnen gern fünfzig Pfund im Tausch für die Erlaubnis geben, bei Ihnen über eine Zeitspanne von fünf oder sechs Monaten jeden Monat eine gründliche medizinische Untersuchung und Erhebung durchzuführen. Danach würden Sie mich nie wieder treffen müssen, und Sie würden in allen daraus resultierenden Veröffentlichungen anonym bleiben.«
    »Fünfzig Pfund, damit du mich wie einen deiner Ohrwürmer pieken kannst?«
    »Ich darf Ihnen versichern, dass die Untersuchungen nicht unangenehm wären.«
    »Was soll diese Scheiße?« Sinner hob zum ersten Mal die Stimme. »Meinst du etwa, ich brauche deine beschissenen fünfzig Pfund? Ich werde Weltmeister im Fliegengewicht. Ich leb nicht von der verdammten Stütze.«
    »Nun gut, hundert Pfund.«
    »Verpiss dich.«
    »Zweihundert. Mr.   Roach, Ihnen ist überhaupt nicht klar, wie perfekt Sie … Niemand kann Ihren Platz einnehmen, Sir. Würden Sie Ihren sportlichen Triumph nicht gerne mit einem wissenschaftlichen krönen? Ich hoffe, dass meine bescheidene Arbeit zumindest einen kleinen Beitrag zu einem Projekt leisten wird, das zweifellos von großartigem und dauerhaftem Nutzen für unsere gesamte Rasse sein wird. Die besten Köpfe Europas und der Vereinigten Staaten kommen zusammen, um –«
    »Wovon redest du überhaupt?«
    »Von der Eugenik, Mr.   Roach. Haben Sie davon gehört?«
    »Belästigt dich dieser Arsch, Seth? Entschuldigung, ich meine natürlich ›dieser Gentleman‹.« Kölmel kicherte. Er stand mit einer Zigarre in der Hand im Türrahmen. Wie Frink war Kölmel stämmig und hatte eine flache Nase, aber er war dicker und kahler als sein Vetter. »Das war ein Wink mit dem Zaunpfahl, Kumpel«, fügte er hinzu.
    »Besteht vielleicht die Möglichkeit, dass Sie es sich noch einmal überlegen?«, sagte Erskine leise zu Sinner.
    »Verpiss dich zu deinen Käfern.«
    »Nun gut. Trotzdem werde ich meine Karte auf den Tisch legen, für den Fall, dass Sie Ihre Meinung ändern. Auf Wiedersehen, meine Herren«, sagte Erskine und ging.
    »Wieso trägst du an so einem Tag einen verdammten Mantel?«, rief Kölmel ihm nach, erhielt aber keine Antwort. Kölmel wandte sich wieder an Sinner. »Wer war das?«
    »Irgend so’n schwuler Schnösel.«
    »Was wollte er?«
    »Mich in eine Freakshow stecken.«
    »Du solltest jemanden an der Tür haben, Sinner.«
    Sinner zuckte mit den Schultern.
    »Na ja, ich wollte dir jedenfalls gratulieren.«
    »Willst du mich verarschen?«
    »Du warst dabei, ihn einzumachen, Sohn. Man konnte seine Knie zittern sehen. Das ist alles, was zählt. Pocks blöder Trick am Ende tut nichts zur Sache. Weißt du, dass Max Schmeling tatsächlich mal einen Titel gewonnen hat, weil er angeblich gefoult worden war? Es heißt, sein Trainer hatte einen Genitalschutz mit einer Delle drin, die er für den Fall der Fälle immer in der Tasche trug. Bei der Gelegenheit kam er ihm zupass – er hatte ihn dem Kerl vorher in die Shorts bugsiert wie ein Zauberkünstler.«
    Sinner war sieben Jahre alt gewesen, als er an einem Abend im Februar Albert Kölmel kennenlernte. Er half gerade seinem Vater, den Gemüsestand zusammenzupacken. Bis 1927 machte Kölmel seine Runden noch persönlich, aber selbst damals benahm er sich, als gehöre Spitalfields Market ihm allein, schlenderte umher wie ein Fabrikbesitzer, der seine Maschinen inspiziert. Eine Hand hielt die Zigarre, die andere war ständig zur Faust geballt, und der junge Sinner war fasziniert von dem Gedanken, dass Kölmel stets so nah dran war, jemanden umzuhauen, dass es sich kaum lohnte, die Finger zu öffnen. Erst später wurde ihm klar, dass Kölmel in der Faust die Waffe seiner Wahl versteckt hatte: einen Weinkorken, in dem eine Rasierklinge steckte, die drei Millimeter herausragte; eine scharfe Zunge, die das Gesicht eines Mannes zeichnen, ihn aber nicht umbringen konnte. Einer wie Kölmel wäre ein Narr gewesen, ein Messer, eine Schusswaffe oder irgendetwas anderes zu tragen, das ihn an den Galgen bringen konnte, wenn etwas schiefging – wenn man jemanden wirklich bestrafen musste, war es besser, ihn festzuhalten und tief in die Oberlippe zu schneiden. Später,
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