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Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Flieg, Hitler, flieg!: Roman

Titel: Flieg, Hitler, flieg!: Roman
Autoren: Ned Beauman
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der Frage, ob ich seiner Empfehlung folgen sollte. Es war nicht wirklich so, dass es mich quälte – ich traf in meinem Alltag nicht viele Juden, und deshalb hatte ich nicht oft dieses komische Gefühl –, aber irgendwie waren die Objekte nach allem, was seit Donnerstag passiert war, nicht mehr so aufregend. Trotzdem beschloss ich am nächsten Morgen, alles zu behalten. Was sollte ich sonst mit meiner Zeit anfangen? (Außerdem hatte ich mich mit Stuart in den Foren angefreundet. Jetzt, da wir nicht mehr miteinander sprachen, hatte ich sonst eigentlich niemanden mehr, und deshalb würde ich vielleicht versuchen, auf demselben Weg einen neuen Freund zu finden. Oder sogar zwei. Und ich würde dazu ganz sicher nicht wieder ins Trimethylaminurie-Forum gehen.)
    Aber dann bekam ich einen Anruf von Teymur.
    Am Nachmittag hatte ich Die Entdeckung der Harmonie. Das Leben Philip Erskines gelesen, das ich gerade von einem antiquarischen Buchhändler im Internet erhalten hatte. (Der Titel war, wie sich herausstellte, einem Essay von Le Corbusier entliehen: »Architektur ist von allen Künsten diejenige, die am ehesten einen Zustand platonischer Erhabenheit, mathematischer Ordnung, Spekulation erreicht; die Entdeckung der Harmonie, die in emotionalen Beziehungen liegt.«) Erskine, so erfuhr ich, war 1981 in einem kalifornischen Kurort gestorben. Er war geschieden. Freunde, die von seinem Biographen interviewt wurden, hatten angenommen, dass er selbst an einer Autobiographie arbeitete, doch ein Manuskript wurde nie gefunden. Seth Roach wurde in dem Buch nicht erwähnt.
    »Es sieht so aus, als würde die Firma von Investoren aus Japan aufgekauft werden«, erklärte mir Teymur. »Ich befürchte, es gibt dann niemanden mehr, der Ihnen Aufträge gibt.«
    »Da kann man nichts machen.«
    »Aber das ist nicht der Grund, warum ich anrufe. Es hat sich herausgestellt, dass Mr.   Grublock für den Fall seines Todes eine Verfügung hinterlassen hat, die Sie betrifft.«
    »Wirklich?«
    Ich war nicht zu Grublocks Beerdigung eingeladen gewesen.
    »Ja. Die Anzahl von Verfügungen, die er bezüglich verschiedener Dinge hinterlassen hat, war übrigens unglaublich hoch. Wir gehen sie immer noch durch. Sie sollen seine ›Sammlung‹ bekommen. Komplett, wie es scheint. Ich weiß nicht einmal, um welche Sammlung es sich handelt. Er hat mehrere. Ich vermute, es ist Wein oder so was. Aber wie auch immer, der Empfangschef in seinem Gebäude lässt ausrichten, dass alles verpackt und an Sie geschickt wird.«
    »Oh. Danke, Teymur.«
    Ich legte auf. Die Nachricht hätte mich in helle Aufregung versetzen sollen. Aber obwohl Grublocks völlig unerwartete Großzügigkeit mich überraschte und rührte, war ich in Wirklichkeit ein bisschen niedergeschlagen. Was würde unter diesen Umständen von meinem Hobby übrig bleiben? (Es erinnerte mich an den Tag, an dem ich endlich mein achtundsiebzigtausend Wörter starkes Roman-Prequel zu John Carpenters Das Ding aus einer anderen Welt fertig hatte und es mir merkwürdig schwerfiel zu feiern.) Plötzlich besaß ich eine der größten Sammlungen von Nazi-Memorabilien der Welt – weshalb sollte ich da Stunde um Stunde damit verbringen, sie geringfügig zu vergrößern? Und ich konnte in den Foren nicht einmal damit prahlen – keiner würde mir glauben. (War eine solche Niedergeschlagenheit Grublocks grundlegendes Lebensgefühl gewesen? Hatte ihn das so unersättlich gemacht?)
    Die Zeit für eine neue Beschäftigung war gekommen, beschloss ich. Vielleicht Gegenstände, die mit dem Boxen zu tun hatten? Ein Paar von Seth Roachs Boxhandschuhen wäre gar nicht schlecht. Von Grublocks Sammlung würde ich nur den Goebbels zugeeigneten Goethe behalten, und von meiner eigenen den Brief Hitlers an Philip Erskine. Der Rest konnte weg. Ich dachte kurz daran, alles dem Rabbi vom Friedhof zu spenden, aber dann fiel mir ein, dass er die Geste falsch verstehen könnte. Und außerdem wollte ich gern eine schönere Wohnung.
    Wenn ich die Sachen verkaufte, würde ich allerdings monatelang damit zu tun haben. Es sei denn, ich konnte das ganze Paket verkaufen. An jemanden mit viel Geld. An jemanden, mit dem ich schon in Kontakt stand. An jemanden, den ich gut kannte. So gut, dass ich sogar den genauen Prozentsatz abschätzen konnte, um den er mich betrügen würde. Denn natürlich würde er das versuchen.
    Es ist mir peinlich, zugeben zu müssen, wie erleichtert ich war, einen Vorwand zu haben, um mein Chatprogramm aufzumachen und
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