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Fleischessünde (German Edition)

Fleischessünde (German Edition)

Titel: Fleischessünde (German Edition)
Autoren: Eve Silver
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Diskussion schon wieder los?“
    Doch dann verstummte sie und blickte sich besorgt um. Offenbar hatte sie nun auch gespürt, was er bemerkt hatte. Es war dieses unbehagliche, aber sichere Gefühl, beobachtet zu werden.
    Alastor legte den Kopf in den Nacken und schaute nach oben in die Baumkrone, aus der ihm unzählige Paare von bernsteinfarbenen Schlitzaugen entgegenblickten.
    „Wir haben Gesellschaft, Liebes“, murmelte er leise.
    „Ich weiß. Ich sehe sie auch. Hast du eine Ahnung, wo wir sind?“
    „Nicht die geringste.“
    Eigentlich hätte an diesem Ort, einer Art Vorhölle wie Jigoku, gar nichts sein dürfen als leerer Raum. Mehr nicht. Es sollte eine Grauzone sein, ein Gebiet zwischen Ober- und Unterwelt, das von keinem Gott und keinem Dämon beansprucht wurde. Ihre Gefangenschaft in Jigoku wäre für sie beide beinahe endgültig gewesen. Aber dieser Trip damals, der Naphré und ihn zu Izanami hatte führen sollen, hatte Alastor auf die Idee gebracht, nach weiteren derartigen Plätzen Ausschau zu halten, die gewissermaßenweiße Flecken auf der Landkarte zwischen Ober- und Unterwelt waren. So ein toter Ort war das ideale Versteck für die Überreste eines ermordeten Seelensammlers.
    Alastor hatte geglaubt, die Reise hierher mit Naphré relativ gefahrlos unternehmen zu können, doch das war offensichtlich eine Fehleinschätzung gewesen. Die einzige Bedrohung in Jigoku war der Verlust jedes Zeit- und Raumgefühls gewesen. Wenn man auf diesen Umstand vorbereitet war, konnte einem, so hatte sich Alastor gedacht, eigentlich kaum noch etwas passieren. Aber er hatte sich geirrt. Denn offensichtlich waren nicht all diese „weißen Flecken“ gleich beschaffen, und dieser Ort ähnelte Jigoku nicht im Geringsten.
    „Ich denke, wir sollten so schnell wie möglich hinter uns bringen, was wir hier zu tun haben, ehe denen da oben einfällt, uns einen Empfang zu bereiten“, meinte er. Gleichzeitig rührte sich etwas zwischen den Blättern und Zweigen des Baums; sie hörten ein Geräusch wie das Kratzen von Krallen an der Baumrinde. Dann herrschte wieder Ruhe.
    „Sieh mal auf das Dach.“ Naphré wies mit einer Kopfbewegung zu der halb verfallenen Hütte.
    Wo vorher nichts Ungewöhnliches zu sehen gewesen war, saßen jetzt Kreaturen, die aus dem Baum gekommen sein mussten und aussahen wie eine Kreuzung aus Ratte und Krebs. Der Rücken war mit einem schuppenartigen Panzer bewehrt, während die Gliedmaßen, die darunter herausragten, mit einem schimmernden Fell, das an Seehundsfell erinnerte, bedeckt waren. Dicht aneinandergedrängt verharrten sie auf dem Dach in einer unheimlichen, bewegungslosen Starre.
    Alastor spürte, wie die Erde unter seinen Füßen leicht bebte. Auch in die Baumkrone kam Bewegung. Die Blätter raschelten. Als Alastor hinaufblickte, schienen sich die geschlitzten Augenpaare vervielfacht zu haben. Zugleich kam es ihm aber auch so vor, als spürte er Lokans Nähe noch deutlicher. Er musste hier irgendwo sein.
    Alastor war hin- und hergerissen. Er witterte die Chance einer wichtigen Entdeckung, konnte Naphré jedoch nicht dieser Gefahr aussetzen. Er musste sie in Sicherheit bringen. Andererseits wusste sie sich zu wehren. Jahrelang hatte sie als Auftragskiller überlebt, bevor sie zusammengekommen waren. Trotzdem war die Bedrohung hier von einem anderen Kaliber.
    „Du darfst dir diese Gelegenheit nicht entgehen lassen“, sagte sie, als hätte sie seine Gedanken erraten, und bückte sich nach dem Messer, das in ihrem Stiefel steckte.
    Wieder bebte die Erde unter ihren Füßen, dieses Mal allerdings schon so heftig, dass Alastor einen Ausfallschritt machen musste, um die Balance zu halten. Die Biester, die auf den unteren Ästen hockten, begannen wütend die gefährlich spitzen Zähne zu fletschen.
    Bei der nächsten Erschütterung stieß Naphré einen unterdrückten Schrei aus und hielt sich an Alastor fest. Der Boden warf sich in Windungen auf, als wühlte sich eine gewaltige Schlange durch den Untergrund. Als die Bewegung wieder aufhörte, schien der Baum an Höhe und Breite erheblich zugenommen zu haben. Das knorrige Wurzelgeflecht trat an vielen Stellen hervor. Und dort, zwischen den armdicken Strängen, halb mit Erde und von einem grünen Schleim bedeckt, war eine rechteckige Kiste zum Vorschein gekommen, die in Form und Größe an einen Kindersarg erinnerte.
    Alastor machte einen Schritt darauf zu. Die Viecher im Baum folgten seiner Bewegung im Geäst zähnebleckend. Vorsichtig tat Alastor
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