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Fleischessünde (German Edition)

Fleischessünde (German Edition)

Titel: Fleischessünde (German Edition)
Autoren: Eve Silver
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und der Schmerz bohrte sich weiter bis in seinen Schädel hinein, von wo er bis in die äußersten Gliedmaßen ausstrahlte.
    Er wankte, aber er fiel nicht. Alles um ihn herum drehte sich, alles in ihm drehte sich. Es war ein einziger Strudel unsagbarer Pein, in die er mit unwiderstehlicher Gewalt hineingesogen wurde. Wie mit messerscharfen Krallen zerrte er an all seinen Gliedern.
    Um das Gleichgewicht zu halten, breitete er die Arme aus. Und da geschah es. Er spürte deutlich eine raue Steinoberfläche an den Händen. Es traf ihn wie ein Schlag und erfüllte ihn mit einem Gemisch aus Hoffnung und Furcht. Er konnte den Stein fühlen, körperlich, tastend fühlen. Es war keine Einbildung dieses Mal. Der Stein war real. Aus irgendeinem Grund wusste er, dass das von ungeheurer Bedeutung war.
    „Ich heiße Lokan Krayl.“ Er flüsterte die Worte vor sich hin, laut genug, dass er sie hören konnte. Er hatte sie schon ein Dutzend Mal, hundert, tausend Mal vergessen.
    Panik erfasste ihn, aber er unterdrückte sie, als er unter sich eine bizarre Treppe erblickte, auf der er stand und die sich durch eine schwarze Leere wand. Die Stufen schimmerten grau und wie blank poliert. Myriaden von Sternen leuchteten um ihn herum.
    Hinauf oder hinunter.
    Es gab nur diese beiden Möglichkeiten, ließ man einmal die dritte außer Acht, nämlich auf diesem Fleck stehen zu bleiben, die ihm jedoch allzu armselig vorkam. So machte er sich auf den Weg nach oben. Trotz der zitternden Knie nahm er immer zwei Stufen auf einmal. Die pure Willensstärke trieb ihn voran. Schnell geriet er außer Atem, und viel zu rasch begann sein Puls zu rasen. Er war schwach und hinfällig geworden, nicht mehr der, der er einmal gewesen war.
    Noch eine Weile hielt er aus, dann blieb er stehen, beugte sich mit hängendem Kopf vor, während er sich auf die Knie stützte, und japste nach Luft. Es musste eine Ewigkeit her sein, dass er seine Muskeln bewegt hatte. Wie lange es her war, wusste er nicht.
    Als er den Kopf wieder hob, bemerkte er, dass er auf einem Treppenabsatz stand. Vor ihm auf einem glatt polierten Steinquader sah er aufgehäuft eine Anzahl von Äpfeln liegen. Rot leuchtend, glänzend. Sein Magen krampfte sich zusammen. Er war am Verhungern. Sein Inneres bestand aus einem einzigen quälenden Loch, ein Schmerz, der ihn bis in die letzte seiner Körperzellen ausfüllte.
    Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, und er griff nach einem der Äpfel. Verführerisch lag er in seiner Hand, fühlte sich schwer und glatt an und verströmte einen betörenden Duft. Er führte ihn an die Nase und schnupperte begierig daran. Schon wollte er hineinbeißen …
    Speise der Toten , fiel ihm da ein.
    War er tot?
    Das konnte nicht sein. Er war Lokan Krayl. Er war Seelensammler. Seelensammler waren nicht sterblich. Aber er war gestorben.
    Schauder und Abscheu überfielen ihn. Mit einem Aufschrei ließ er den Apfel aus der Hand gleiten. Der fiel, rollte die Stufen hinunter und rollte und fiel immer weiter, ohne dass irgendwann ein Aufprall zu hören war.
    Wieder drehte sich alles um ihn herum. Er erblickte plötzlich Bilder, Dinge, von denen er sicher war, sie früher schon gesehen zu haben. Er stand auf einer betonierten Uferböschung, vor sich ein breiter, dunkelroter Strom. Weinfarben, blutfarben. Er erblickte ein Boot mit einem Fährmann. Tausende von Seelen waren da …
    Er wollte das Boot erreichen, doch plötzlich war alles verschwunden.
    Stattdessen wieder eine Treppe, dieses Mal aus poliertem Marmor. Oben eine Waage mit aus Gold geschmiedeten Schalen. Eine weiße Feder auf der einen Waagschale. Ein Messer lag bereit. Die Halle der Wahrheit und Gerechtigkeit.
    Er war Lokan Krayl, Sohn des Sutekh, Botschafter seines Vaters, seine rechte Hand.
    Neben der Waage stand Anubis, wandte ihm den Schakalkopf zu und händigte ihm das Messer aus. Es war der einzige Weg, der hineinführte, der einzige Weg zu Osiris.
    Er streckte die Hand aus, um das Messer zu nehmen. Er stöhnte auf, als es ihm entglitt, und er fiel. Und fiel. Und fiel.
    Ein Fluss.
    Ein blutroter Mond.
    Das Gefühl, als würden ihm alle Glieder einzeln ausgerissen. Ein Schmerz, den er sich nie hatte vorstellen können.
    Die Sonne brannte so heiß, dass sie ihm die Haut versengte. Doch dann erhob sich eine Brise, die ihn kühlte. Er drehte den Kopf in den Windhauch und öffnete die Augen. Vor sich sah er eine Kinderschaukel und ein kleines Mädchen, das ihn mit strahlend blauen Augen anblickte und mit offenem Mund
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