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Flachskopf

Flachskopf

Titel: Flachskopf
Autoren: Ernest Claes
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hatte es was gegeben, als diese zwei nach der Predigt aufstanden und ruhig ihre Stühle umdrehen wollten! Finchen war feuerrot geworden, weil plötzlich alle Leute sahen, daß sie neben Jan Piek saß, und dieser hatte mit vieler Mühe endlich den Knoten aufgemacht, nachdem er drei- oder viermal halblaut geflucht hatte. Als man es zu Hause erfuhr, hat sein Vater ihm eine tüchtige Tracht Prügel verabreicht. Jan Piek hat sich nie wieder neben Finchen gesetzt, und jedesmal, wenn er sich in der Kirche auf einen Stuhl niederließ, sah er erst nach, ob Flachskopf in der Nähe war.
    Flachskopf war auch vierzehn Tage lang Chorknabe gewesen. Eines Tages entdeckte er in der Sakristei in einer alten Kiste eine schwarzgerauchte Tonpfeife, und die hatte er augenblicklich in seine Hosentasche gesteckt. Wahrend der Messe nun, die er immer so fürchterlich langweilig fand, hatte er mehr an diesen glücklichen Fund gedacht als an Confiteor und Credo und heimlich die Pfeife aus der Tasche geholt, um sie noch einmal zu betrachten. Alle Wetter, da mußte er plötzlich die Ampullen reichen! Er hatte kaum noch Zeit, die Pfeife in den breiten Ärmel seiner Chorhemdes gleiten zu lassen, trat zum Altar und... patsch! gerade als er den Wein in den Kelch gießen wollte, fiel das Ding vor die Füße des ehrfürchtig niederblickenden Pfarrers! — Das war der letzte Tag seiner kirchlichen Amtszeit gewesen.
    Seine erste Erziehung hatte Flachskopf bei den Nonnen genossen. Zwei Jahre lang — das schien ihm jetzt ganz unglaublich — hatte er dort aushalten müssen. Er hatte stets die Empfindung gehabt, daß er nicht dorthin gehörte. Man hatte ihm das Stillsitzen, Schlafen, Singen, Spielen und Buchstabenschreiben beigebracht, — ein Programm, dessen Anwendung auf Flachskopf die guten »Schwestern der Ankündigung« von Sichem manchmal verzweifeln ließ. Und Schwester Monika teilte der Oberin mit niedergeschlagenen Augen mit, die »schlechten Neigungen« machten sich jetzt schon in Flachskopfs junger Seele bemerkbar. Während der Spielzeit guckte er immer über die hölzerne Umzäunung, hinter der die Schwestern sich mit den kleinen Mädchen beschäftigten. Das schien der Schwester Monika eine so große Sünde, daß sie Flachskopf, nachdem sie es einmal entdeckt hatte, jeden Tag einige Minuten länger in der Klasse zurückhielt als die andern Kinder. Er hatte nichts bei den Schwestern gelernt außer dem Vaterunser und dem Englischen Gruß. Aus dieser Kinderschule hatte sich das Gesicht von Schwester Monika am deutlichsten in sein Gedächtnis eingeprägt; es war ein breites, weißes Gesicht, das erstarrt und empfindungslos aus der bleichen Schwesternkappe hervorsah. Pfarrer Münze, mit dem süßlichen Heiligengesicht und der schwarzen Schnupftabakslippe, zeigte sich auch ab und zu in der Schule. Er tappte herein, auf seinen Stock gestützt, und reichte erst Schwester Monika seine Schnupftabaksdose.

    Dann mußten sich alle von ihren Plätzen erheben und sich wieder setzen und singen: »Ein Zeisig sang im Walde !« — oder noch öfters: »Zu Lourdes auf dem Berge…« Den Text kannte Flachskopf nicht auswendig, aber wenn das »Ave, Ave, Ave Maria !« dran war, dann schrie er allein fast so laut wie alle andern zusammen. Der Pfarrer hatte ihm deswegen einmal freundlich auf den Kopf geklopft und gesagt, daß er später im Kirchenchor auf der Empore würde singen dürfen, was für Flachskopf ein Ansporn war, bei jeder Gesangsübung seine Stimmbänder eine noch größere Kraft entwickeln zu lassen. Bei jedem Besuch erzählte der Pfarrer vom Jesuskind, von Unserer Lieben Frau und von braven Kindern, und dann blickte Flachskopf nach der Seite, wo die Mädchen saßen, weil er überzeugt war, daß dieser Quatsch nur ihnen galt, nicht den Jungen. Vor Mutter Hyacintha, die mit einem Schnurrbart ausgestattet war, hatte Flachskopf eine heillose Angst; er nannte sie kurzweg Mutter Cint, und Schwester Monika hieß Schwester Harmonika.
    Mit sechs Jahren durfte er die Knabenschule besuchen. Da hatte für Flachskopf ein ganz neues Leben angefangen. Gleich war in ihm das Bewußtsein erwacht, daß er nun ein »Junge« geworden sei. Wenn er auch in den ersten Tagen noch ein wenig schüchtern gewesen war unter all diesen größeren Burschen, so hatte ihn doch der Lehrer nach wenigen Wochen richtig einzuschätzen gelernt und die Notwendigkeit eingesehen, ihm unmittelbar vor sich auf der ersten Bank einen Platz anzuweisen, um ihn schneller bei den Ohren zu haben. Als
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