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Flachskopf

Flachskopf

Titel: Flachskopf
Autoren: Ernest Claes
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Ecke geschritten. Als er seinen jüngsten Sohn so erbärmlich schreien hörte, fragte er verwundert: »Warum brüllst du denn so ?« Das fand Flachskopf so unmenschlich gemein, daß er schluchzend zurückschnauzte: »Brauchst du... hi... hi... das noch... hi... hi... zu fragen... hi... hi... du Lump... hi... hi... !« und er bekam auf der Stelle einen so derben Fußtritt, daß er Hals über Kopf in die Dornhecke flog.
    So lernte Flachskopf schon in seiner frühesten Jugend, daß es nicht immer gerecht zugeht unter der Sonne und nicht jede böse Tat sogleich bestraft wird. Seinen festen Glauben an das »Gelobt sei Jesus Christus !« der Schwestern hatte er damit auch verloren. Wohl hatte er es manchmal noch im stillen gesagt, wenn er fluchen hörte, bis er die Jahre erreichte, wo es einem Schulbuben erlaubt ist, auch hie und da zu fluchen, was, wie Flachskopf meinte, im Katechismus angedeutet ist durch das »vernünftige Alter«.

    Es gab noch andere fromme Bräuche, in denen Flachskopf sich geübt hatte. So hing zu Hause in der guten Stube ein Bild, das ihm eine besondere Ehrfurcht einflößte. In der Mitte dieses Bildes befand sich ein Dreieck, aus dem ein Auge ihn so drohend anschielte, daß ihm davor schauderte. Darüber stand: »Gott sieht mich !« und darunter: »Hier flucht man nicht !« Wenn Flachskopf etwas sehr Schlimmes verbrochen hatte, bekam er gewöhnlich erst eine gehörige Anzahl Ohrfeigen, und dann mußte er mit bloßen Beinen in seinen Holzschuhen knieen und mit ausgestreckten Armen eine Reihe von Vaterunsern beten vor diesem Christusauge, das ihn dann noch strenger anschielte und ihn an Dries, den Feldgendarmen, denken ließ. Er träumte manchmal nachts davon und wachte dann erschrocken auf. Das »Hier flucht man nicht!« schien aber wenig Einfluß auf seinen Vater zu haben, vor allem, wenn er Sonntags abends nach Hause kam, oder nach den Sitzungen des Gemeinderats, wo er einmal im Monat von zwei bis drei im Gemeindehaus und von drei bis zehn oder elf im Wirtshaus die Interessen seiner Gemeindemitglieder wahrnahm. Eines Tages war zu Flachskopfs großer Freude das Christusauge vom Nagel heruntergefallen; das Glas war zerbrochen, das Bild zerrissen, und der leere Rahmen stand nun hinter dem Kleiderschrank. Wenn Tante Rosas Nieke bei ihnen zu Besuch war, ließ Flachskopf sie in der guten Stube vor sich hinknieen und spielte selber Christusauge: er holte den Rahmen hervor, steckte seinen Kopf hindurch, kniff das eine Auge zu, blickte Nieke mit dem andern streng an und sagte mit dumpfer Stimme: »Gott sieht mich, — hier flucht man nicht.« Aber auf Nieke, die sehr dick und sehr dumm war, machte das eigentlich nicht den richtigen Eindruck, und Flachskopf war der Meinung, daß es daran lag, weil nicht wie bei ihm die übliche Anzahl Ohrfeigen vorangegangen war; die wagte er aber nicht hinzuzufügen.
    Er erinnerte sich sehr gut, wie langweilig es ihm gewesen war, mit seiner Mutter in die Kirche zu gehen. Da ging es immer geradeaus in die Kirche, geradeaus nach Hause, ohne daß er auf dem Kirchplatz eine Weile spielen oder vor den Naschbuden stehen bleiben durfte. Einmal war er mit der Mütze auf dem Kopf in die Kirche gekommen und saß nun so neben seiner Mutter auf einem Stuhl. Sobald diese es bemerkte, nahm sie ihm die Mütze vom Kopf, aber sie griff gleichzeitig ein Büschel Haare mit, so daß Flachskopf laut geschrieen hatte: »Au verdammt !« , zum größten Ärgernis der frommen Gemeinde. Ein anderes Mal hatte er seinen Kopf durch die Rückenlehne seines Stuhles gezwängt, um lesen zu können, was auf dem blauen Grabstein gerade vor ihm geschrieben stand: »Hier liegt begraben...«, aber da wurden plötzlich die Stühle umgedreht für die Predigt, und der Pfarrer hatte bereits das halbe Sonntagsevangelium vorgelesen, bevor Flachskopf sich aus der engen Stuhllehne befreien konnte. Ein paarmal hatte ihn auch der Vater mitgenommen, aber dieser hatte es bald satt, nach dem Hochamt einen solchen Bengel auf dem Halse zu haben. Von allen frommen Übungen seiner ersten Jugend erinnerte er sich am besten an jenen Sonntag, wo er im Hochamt hinter dem Stuhl von Jan Piek gesessen hatte, der sich immer neben Finchen Perdju zu setzen pflegte. Es geschah während der Predigt des Vikars. Jan Pieks rotes Taschentuch hing halb aus seiner Tasche, und Flachskopf hatte es leise ganz herausgezogen, Jan Pieks Stuhl damit an Finchens Stuhl festgebunden und war dann bis auf die äußerste Ecke seiner Bank gerutscht. Da
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