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Flachskopf

Flachskopf

Titel: Flachskopf
Autoren: Ernest Claes
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großer Dichter ist. Aber wer hätte das jemals gedacht, als er früher in Sichem eine halbe Stunde auf den Zug warten mußte?

    Man sieht, es ist kein Ding unmöglich.

    Felix Timmermans

Wer Flachskopf war und woran er sich aus seinen ersten Kinderjahren noch erinnerte

    F lachskopf erwachte und riß sofort die Augen weit auf. Seine erste Empfindung war ein Staunen: so unmittelbar vor sich die Schlafstube zu sehen, Heinis Bett dort in der Ecke, die alten Hosen am Kleiderhaken, den ganzen alltäglichen Krempel dieser kleinen Kammer, mit ihrem beißenden, dumpfen Schweißgeruch wie an jedem Morgen. Er hatte soeben geträumt, daß er zu Pferde saß und im vollen Galopp über die Landstraße dahinsauste, dann irgend etwas von einer neuen Hose, — als er aufwachte und die Alltäglichkeit der Dinge in dieser engen Kammer erbarmungslos auf ihn einstürzte. Er machte die Augen wieder zu, um zu versuchen, ob es wohl wiederkommen würde... Nein, der langweilige Wochentag, der wieder anfing, die Schule und der Lehrer, — sie verdrängten jeden andern Gedanken in seinem Kopf.

    Die Kammertür öffnete sich quietschend mit einem jähen Ruck.
    »Flachskopf!« Flachskopf rührte kein Glied. »Flachskopf !« rief die Mutter nun lauter.
    »Ha !« machte Flachskopf, als ob er aus einem tiefen Schlaf erwachte.
    »Mach, daß du rauskommst! — es ist acht Uhr !«
    »Ja!« Und er blieb liegen, wo er lag. Er hörte, wie die Holzschuhe seiner Mutter sich klappernd in der Richtung des Stalles entfernten.
    Nun stieß Flachskopf einen tiefen Seufzer aus. Er lag auf der linken Seite, befreite mühselig seinen rechten Arm aus den Bettlaken und fing an sich zu kratzen, auf dem Kopf, den Schultern, am Rücken; es juckte ihn überall, als ob er in Rapssamen gelegen hätte. Er sperrte ein paarmal seinen großen Mund auf, hatte aber noch nicht die Kraft, seinen faulen Körper zum Aufstehen zu bewegen. Er drehte sich auf den Rücken, zog die Kniee hoch, schob die Hände unter seinen Kopf, betrachtete die Fliegen an der weißgekalkten Decke und dachte nach.
    Die unangenehmen Dinge fielen Flachskopf morgens beim Aufstehen von selber ein; nach den angenehmen dagegen mußte er erst einen Augenblick suchen, als da an diesem Morgen vor allem war: Donnerstag, also am Nachmittag keine Schule. Und das allein schon versprach eine Welt von wunderherrlichen Dingen.
    Durch das kleine Fenster strömte das golden lachende Licht der neuen Sommersonne herein, als ob es von draußen mit Gewalt hineingetrieben würde. Die kleine viereckige Scheibe sah aus wie ein sonnig-jugendliches Sommergesicht, das drinnen und draußen alles bezaubern und mit goldenem Glanz umgeben wollte. Das Licht breitete sich im Zimmer aus, stöberte in allen Ecken und in den Falten der Kleidungsstücke, die an der Wand hingen. Wie aus einer fremden Welt klang das Gezwitscher von Spatzen und Finken herein und der frohe Jubelsang einer fernen Lerche hoch darüber hin. Flachskopf betrachtete nun das Fenster. Plötzlich ließ sich ein Spatz mit kurzem Flattern gerade vor dem Fenster auf eine Weinranke nieder, umklammerte mit breitgestellten Füßchen den biegsamen Halt, warf das dunkle Köpfchen schnell nach links und rechts, um eine mögliche Gefahr zu erspähen, und trug im dicken Schnabel einen langen Strohhalm. Mit einem Schlag war jede Mattigkeit von Flachskopf gewichen, und seine Augen hingen plötzlich mit gespannter Andacht an dem Spatz. Ritsch... der Vogel war weg, und ebenso schnell saß Flachskopf auf den Knieen vor dem Fenster, um zu sehen, wo er nistete... Da wurde die Kammertür wieder heftig aufgerissen.
    »Wenn du verflixt... Was machst du da, Bengel ?« Die Mutter vollendete den ersten Satz nicht, als sie Flachskopf im Hemde aufrecht im Bett sitzen sah.
    »Nichts... ich komme ja !«
    »Du brauchst es sonst nur zu sagen, wenn ich dir helfen soll !«
    Als die Tür wieder krachend zugeschlagen war, zog er seine geflickte Wochentagshose an und knurrte: »Zeit genug! Immer dieselbe Geschichte!« Die Weste auf dem Arm trat er aus der Kammer, nahm im Waschhaus, wo auch die Fässer mit dem Kuhfutter standen, das Handtuch vom Nagel, hängte draußen Jacke und Handtuch am Brunnen auf und tauchte beide Hände in einen Eimer Wasser, der daneben auf dem schlammigen Boden stand. Er kratzte ein wenig an seinen schmutzigen Fingerspitzen herum, schöpfte dann die beiden Hände voll Wasser und warf es sich, blasend und prustend, ins Gesicht. Mit dem trockenen Zipfel des Handtuchs rieb er dann
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