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Flachskopf

Flachskopf

Titel: Flachskopf
Autoren: Ernest Claes
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eigener Person zu begegnen. Sieht er einen Mann mit blondem Haar, und viele Leute dort — auch Ernest Claes — haben flachsblonde Haare, dann denkt er: »Das ist er .« Aber er ist es natürlich nicht. Die Wallfahrer werden eine Zeitlang Flachskopfs Bild nicht los. Sie sehen ihn deutlich vor sich. Sie sehen, wie er die Kartoffeln versalzen läßt, wie er im Adamskostüm nach Hause schleicht, als ihm beim Baden die Kleider weggenommen wurden; sie sehen ihn beim Religionsunterricht und wie er bei Herrn Boon die kleinen Zigarren maust, im allzu langen Hemde, und im Zuge, wo er dem Bauern die Mütze wegnimmt; und die ganze Geschichte Flachskopfs tutet durch den Rosenkranz wie ein Schiffstelegramm durch Radiomusik. Ja, »Flachskopf« ist ein schönes Buch. Flachskopf ist ein Stück Flandern geworden. Das Buch brauchten wir, und Dinge, die wir brauchen, bleiben bestehen. Alles andere geht von selbst ein. Wir lieben Flachskopf, weil wir uns selbst darin wiederfinden: unsere Jugend. Ja, so etwas haben wir auch gemacht oder wünschen, es gemacht zu haben, genau so frei und gewagt, allem zum Trotz.
    »Flachskopf« ist die Geschichte einer sieghaften Jugend, und das ist gewiß einer der Hauptgründe, weshalb wir das Buch so sehr lieben. Es lebt der Geist des Reineke Fuchs und Uilenspiegels darin: sei mutig und lebenslustig, und vieles wird dir verziehen werden. Wir lieben Geschichten, die uns das geben, was uns fehlt oder was wir verloren haben. Ist es nicht so? Man ist ein erwachsener Mensch geworden, man sitzt in Amt und Würden, und das alles sieht von weitem sehr schön aus. Aber wir wollen uns doch nichts vormachen, wir haben leider alle sehr viel Schönes aus unserem Leben hinter uns lassen müssen: Wagemut, Ideale, Träume, Freude, Spiel und vor allem die goldene Freiheit. Dieser hat seine Träume begraben wegen seiner Stellung, jener einer Auszeichnung wegen, ein Dritter um des Erbteils einer alten Tante willen, und andere wieder aus anderen Gründen, und schließlich ist das alles sehr menschlich; denn wir haben Angst bekommen vor unechten Gespenstern, und jeder hat das Recht, Angst zu haben. Ja, wir tragen unsere Jugend mit uns durchs Leben. Gewiß, aber in Tüchlein eingewickelt; in Tüchlein konventioneller Formen und anderer Dinge, mit und ohne Grund. Aber dann fällt uns eines Tages der »Flachskopf« in die Hände, wir lesen ihn und finden unser eigenes Selbst darin wieder. Wir fühlen unsere eigene Jugend durch alle Tüchlein hindurch. Wir alle finden unser eigenes Selbst darin, wir grüßen diesen Flachskopf und freuen uns, daß wir unsere Jugend wiedergefunden haben. Wie gut und schön war es doch früher! Nachher sagen wir zwar zu unserem Söhnchen: »Junge, benimm dich anständig...« Aber im Kernhaus unserer Seele bedauern wir aufrichtig, daß wir den Flachskopf in uns in Tüchlein wickeln mußten.
    Und dann lieben wir auch das Buch, weil es so gut und saftig geschrieben ist. Wir kennen alle noch viel lustigere Streiche, als wir sie im »Flachskopf« finden. Nach dem Flachskopf aus Sichem haben viele kleine Flachsköpfe in Flandern unter einem anderen Namen eine papierne Geburt erlebt. Aber sie blieben nicht am Leben. Sie rührten nicht an unser Herz. Ernest Claes hat seinem Flachskopf jenen Hauch von Poesie gegeben, der mehr zwischen den Zeilen als in den Worten liegt. Es ist jenes unsichtbare Etwas, das nur die Seele spürt. Es ist der Inhalt des Lebens selbst. Etwas erzählen ist keine Kunst, es kommt darauf an, wer es erzählt.
    Dichter entdecken das Land. Ernest Claes zeigt uns eine neue Landschaft: das heilige Land Brabant, mit seinen Hügeln und seinen Menschen. Hinter der großartigen Figur Flachskopfs sehen wir nun auch den Pfarrer Münze, den Wilderer Wannes Raps und alle die prachtvollen Typen aus dem Lande des Dichters. Wir hören den fröhlichen Marsch der Sankt-Johannes-Freunde. Es ist eine ganze Welt.
    Oh, jetzt wissen wir, wer dieser Pfarrer war, der damals, als wir vor der Kneipe unser Flaschenbier tranken, auf die Kirche zuhumpelte; es war ja Pfarrer Münze. Der Musiker, der sich auf dem Messinginstrument abquälte, so daß man Kopfschmerzen davon bekommen konnte, er gehörte zu den Sankt-Johannes-Freunden. Und der Müller, er war es, den Flachskopf am Seil hochziehen ließ. Und Wannes Raps... Ja, jetzt kennen wir alle diese Leute aus Sichem. Es sind eigenartige Menschen, und Sichem ist ein eigenartiges Dorf, weil Ernest Claes sein Volk und sein Land lieb hat, und vor allem, weil er ein
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