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Ihr Pferd ist tot - Steigen Sie ab

Ihr Pferd ist tot - Steigen Sie ab

Titel: Ihr Pferd ist tot - Steigen Sie ab
Autoren: Tom Diesbrock
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|13| Was hat ein totes Pferd
mit mir zu tun?
    Stellen Sie sich diese Szene einmal vor: Da liegt ein offensichtlich totes Pferd. Es sieht nicht so aus, als sei es gerade eben erst zusammengebrochen; es scheint schon eine Weile nicht mehr am Leben zu sein. Auf dem Pferd sitzt ein Mensch. Er hält sich anscheinend mit großer Anstrengung im Sattel, was natürlich kein leichtes Unterfangen ist, wenn das Reittier reglos auf dem Boden liegt. Der Reiter scheint an der Situation nichts Ungewöhnliches zu finden – obwohl er es ganz offensichtlich nicht bequem hat, schaut er unbeteiligt um sich. Als sei alles ganz normal und in bester Ordnung. Vielleicht gibt er dem Tier ab und zu die Sporen und zieht gelegentlich am Zügel, als würde er meinen, es damit in Bewegung bringen zu können. Es fällt schwer, ihm abzunehmen, dass er wirklich noch nicht gemerkt hat, dass sein Pferd ganz sicher nicht mehr aufstehen wird.
    Eine absurde und unangenehme Vorstellung! Warum sollte jemand so etwas tun? Jeder vernünftige Mensch würde doch absteigen, sich ein neues, lebendiges Pferd suchen oder zumindest lieber zu Fuß gehen. Oder?
    So einfach funktionieren wir leider nicht, denn was »psycho-lo gisch « ganz normal ist, erscheint von außen betrachtet nicht unbedingt logisch. Unserem Reiter ist möglicherweise gar nicht bewusst, dass sein Pferd tot ist. Oder er mag es zwar ahnen, aber nicht wirklich akzeptieren. Doch selbst wenn: Er wird trotzdem nicht absteigen, solange ihm die Nachteile seines toten Pferdes kleiner erscheinen als mögliche Nachteile, die er befürchtet, wenn er tatsächlich absteigt. Schließlich bietet ihm seine jetzige Situation ein hohes Maß an Sicherheit – er kennt sie gut, kann sie einschätzen und kontrollieren. Dagegen könnte die Suche nach einem neuen Pferd anstrengend sein, er könnte mit einem |14| neuen Tier Schwierigkeiten haben oder gar keines finden. Vielleicht weiß er nicht, wo und wie er suchen könnte. Und was wäre, wenn andere Menschen merken, dass es mit seinen Reitkünsten nicht weit her ist? Das wäre doch wirklich peinlich und schlimm.
    Um etwas »nicht mehr Lebendiges« in unserem Leben hinter uns zu lassen, brauchen wir Mut, eine Vorstellung unserer Wünsche und Ziele und ein gewisses Maß an Vertrauen in uns und die Welt. Ist es da nicht verständlich, dass wir so lange wie möglich am Vertrauten festhalten – auch wenn wir ahnen, dass seine Zeit längst abgelaufen ist?
    Deshalb tun wir es alle und immer wieder! Viele Menschen haben es zur wahren Meisterschaft darin gebracht und bleiben unbeirrt Monate und Jahre auf ihrem toten Pferd sitzen. Manche behaupten stur und steif, dass es noch Lebenszeichen von sich gibt und ganz sicher bald wieder aufstehen wird. Und andere sind fest davon überzeugt, dass ein totes Pferd immer noch das für sie bestmögliche Transportmittel ist.
    Das erscheint Ihnen ein bisschen übertrieben? Ich gebe zu, dass dieses von mir gewählte Bild nicht gerade ästhetisch ist. Es ist sicher nicht angenehm, sich ein totes Tier vorzustellen. Aber ich habe mich dafür entschieden, weil es in meinen Augen etwas beschreibt, was wir alle kennen. Lassen Sie mich Ihnen einige Beispiele von ganz alltäglichen toten Pferden geben:
Wir treffen regelmäßig Menschen, mit denen wir uns schon lange nichts mehr zu sagen haben – weil wir sie seit Ewigkeiten als Freunde betrachten und uns nicht trauen, daran zu rütteln.
Wir verbringen seit vielen Jahren unseren Urlaub an ein und demselben Ort und haben schon lange aufgehört, es dort interessant zu finden.
Wir kaufen uns seit Ewigkeiten dieselben Zigaretten- und Biermarken, Marmeladensorten, Zeitungen, Möbel, Krawatten, Blumen oder Brillen in denselben Läden. Aber ist es immer noch unsere liebste Wahl? Oder eher Gewöhnung, und in Wirklichkeit sind wir nur viel zu träge, um einmal etwas anderes auszuprobieren?
|15| Wir erwarten Anerkennung und Zuneigung von Menschen, von denen wir wissen, dass wir genau dies nicht von ihnen bekommen. Wir sind dann trotzdem immer wieder zutiefst enttäuscht.
Wir haben ein Lieblingsrestaurant – hauptsächlich weil wir zu bequem sind, häufiger mal ein neues auszuprobieren. Wir bestellen dort meist dasselbe Gericht.
Wir halten an einer Partnerschaft fest, die inzwischen vor allem von Langeweile geprägt ist.
Wir gehen seit Jahren zu einem Zahnarzt, obwohl wir das Gefühl haben, dass er seine Sache nicht wirklich optimal macht.
    Was uns motiviert, festzuhalten
    Wir halten uns an vielen Dingen
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