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Flachskopf

Flachskopf

Titel: Flachskopf
Autoren: Ernest Claes
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ihn dann ein paar Tage später sein Vater abends fragte, ob er denn auch in der Schule fleißig sei, da antwortete Flachskopf: »Ei gewiß, ich sitze schon auf der ersten Bank !«
    In der Jungenschule! Oh! da durfte man raufen und toben nach Herzenslust! Da brauchte man nicht so sauber gewaschen und gekämmt zu sein, da brauchte man im Sommer nicht zu schlafen, man wurde nicht zur Strafe in die Ecke gestellt, man bekam keine Briefmarkenränder über den Mund geklebt, man wurde nicht von den Schwestern auf den Abort gesetzt, — in dieser Schule war alles jungenmäßig. Wenn man da etwas verbrochen hatte, dann war es auch der Mühe wert; dann bekam man ein paar Ohrfeigen, die zwar weh taten, aber gleichzeitig ein Beweis dafür waren, daß man nicht mehr als dummes Kind angesehen wurde. Bereits nach der ersten Woche wußte Flachskopf, was man »durfte« und »nicht durfte«, kannte die Kraft, die der Lehrer mit Hand und Fuß zu entwickeln vermochte, wußte genau, welchen Schuljungen er überlegen war und welchen nicht, kurz und gut, er wußte alles, was man auf der Jungenschule wissen mußte, um auf der Höhe zu sein.
    Zwei Jahre hatte er in der kleinen Schule gesessen bei Staf, dem zweiten Lehrer, und jetzt seit reichlich einem Jahr beim Hauptlehrer. Ob er in dieser ganzen Zeit an Weisheit und Verstand zugenommen hatte, war ihm ziemlich gleichgültig. Er fand die Schule immer langweiliger. Die Stunden, die die Knaben in der Schule zubringen mußten, gingen stets denselben eintönigen Gang, ohne irgendeine Abwechslung. Jede Jahreszeit brachte zwar ihre besonderen Spiele und Belustigungen mit sich, aber das wurde alles verdorben durch die regelmäßigen Unterrichtsstunden, die dem Spiel und dem Vergnügen ein Ende machten, gerade wenn es am lustigsten zuging. Im Winter durfte er manchmal zu Hause bleiben, wenn der Schnee zu hoch lag, und im Sommer, um die Kühe zu hüten, — aber das waren seltene Tage, und dann fehlten ihm ja auch seine Kameraden. Flachskopf konnte durchaus nicht begreifen, wie die Erwachsenen mit ernstem Gesicht behaupten konnten, daß vom Schulbesuch und vom fleißigen Lernen sein späteres Glück abhinge. Er sah in diesem »Später« lediglich das Glück, nicht mehr in die Schule gehen zu müssen.
    Flachskopf hatte die Schule satt. Jeden Tag Katechismus, Rechnen, Geschichte, Erdkunde und vieles andere, und das alles unterrichtet in einer Weise, die besonders geeignet war, den jungen Knaben, es brauchten nicht einmal Flachsköpfe zu sein, fürs ganze Leben eine Abneigung gegen diese Dinge einzuflößen. Für Flachskopf war es mehr, als er ertragen konnte.
    Mit diesen Dingen beschäftigte sich Flachskopf an jenem Morgen, während er seine Butterbrote verzehrte. Und je herrlicher die Sonne draußen über der Welt aufging, um so schwerer drückte der Schulbesuch auf sein Herz. Er beneidete Heini und Nis, die jetzt auf dem Felde waren, zwar tüchtig arbeiten mußten, aber sich doch frei unter dem offenen Himmel in der Sonne draußen bewegen durften.
    Und hinter ihm auf dem Küchenschrank lag sein »Kleiner Katechismus«, aus dem er für heute das Kapitel über die Werke der Barmherzigkeit auswendig wissen sollte, und worin er gestern abend bei der Lampe mit dem Kopf zwischen den Händen scheinbar gelesen hatte, während er in Wirklichkeit die Fliegen beobachtete, die auf dem Tisch allerlei sonderbare Übungen machten, und mit gespannter Aufmerksamkeit dem Wilderer Victalis zuhörte, der Heini erzählte, wie er den Förster von Herrn de Merode überlistet hatte. Aber jedesmal, wenn er es gewagt hatte, den Kopf ein wenig zu heben, um besser zu hören, hatte sein Vater ihn drohend gefragt: »Wieviel Werke der Barmherzigkeit gibt es ?« Und Flachskopf hatte dann wieder schleunigst in sein Buch geguckt, bis er endlich eingeschlafen war und nachts in seinen Träumen gequält wurde von einer ganzen Anzahl von Werken der Barmherzigkeit, die ihn ein paarmal schauernd wach werden ließen. Und ungeachtet allen Fleißes wußte Flachskopf ebensowenig von den Werken der Barmherzigkeit wie eine Kuh vom Herbarium.
    Es war ein Viertel nach acht. Flachskopf erhob sich, schob sich die Mütze auf den Kopf, nahm seinen Katechismus in die Hand und ging zur Tür hinaus.

Von den sieben Werken der Barmherzigkeit und von der Grille und der Ameise

    D raußen war der neue Sommertag in vollem Gang. Die Sonne stand bereits lohend dort oben über dem Kranichhof und schoß ihre goldenen Strahlen über Wiesen und Äcker, weit und
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