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Flachskopf

Flachskopf

Titel: Flachskopf
Autoren: Ernest Claes
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breit alles umfassend mit ihrem funkelnden Licht. Über die Kornfelder zu beiden Seiten der Straße streifte ein leiser Wind, der den kühlen Morgentau vor sich her trieb; und das goldene Getreide in den hohen bärtigen Halmen sang ein eigenes Lied, wie die leise vor sich hingesummte Melodie der ganzen Sonnigkeit, die über allen Dingen lag. Hoch darüber zwitscherten die Lerchen, bewegliche Pünktchen auf dem ruhigen, weichen Blau des schönen Himmels. Auf den Bäumen und in den Hecken trieben Spatzen und Finken ihr tolles, ausgelassenes Wesen, und drüben auf der Wiese stand ein Schnitter; sein klirrendes Wetzen über den funkensprühenden Stahl war ein schöner, dazu passender Klang. Flachskopf blieb einen Augenblick auf der Straße stehen, betrachtete die Felder und die Wiesen, die Sonne und den Schnitter, lauschte den Finken und den Lerchen, — das alles, was in seinen Augen glänzte und in seinem Herzen pochte, war sein Leben, und er hätte heulen können, weil er in die Schule mußte.
    Die Schule schwänzen! ... Seine Augen bekamen plötzlich einen flackernden Glanz! ... Aber ach! es kam immer an den Tag. Vorige Woche hatte er es noch einmal gewagt und war schwimmen gegangen. Sein Vater vernahm es noch am selben Abend vom Lehrer, und er
    hatte Flachskopf auf sein Knie gelegt, ihm die Hose abgestreift und drauflosgehämmert, als ob es kein Menschenfleisch wäre. Väter und Schullehrer — beide waren in Flachskopfs Augen ein Elend und beide höchst überflüssig.

    Und wenn er seine Aufgabe nicht auswendig wußte, dann würde er gewiß heute mittag nachsitzen müssen, sein Vater würde ihn am Nachmittag nicht aus dem Hause lassen, — und heute war Donnerstag.
    Mit schwerem Herzen schlug er in seinem Katechismus das heutige Kapitel auf und las im Weitergehen laut die Fragen.
    — Was sind Werke der Barmherzigkeit?
    — Tugenden, durch die wir andern Menschen in ihrer leiblichen und geistigen Not aus Barmherzigkeit zu Hilfe kommen.
    — Welche Werke der Barmherzigkeit gibt es?
    — Zweierlei: leibliche und geistliche Werke der Barmherzigkeit.
    — Wieviel leibliche Werke der Barmherzigkeit gibt es?
    — Sieben, nämlich: erstens die Hungrigen speisen, zweitens die Durstigen tränken, drittens...
    Ach, was für einen Blödsinn, dachte Flachskopf plötzlich, müssen doch die Schuljungen auswendig lernen! Was hatte das nun für einen Zweck? Etwa um danach zu handeln? Hätte man es Flachskopf überlassen, die Werke der Barmherzigkeit zu erfinden, sie hätten bestimmt einen praktischeren Charakter gezeigt: Nummer eins wäre gewiß etwas für diesen griesgrämigen Lehrer gewesen, Nummer zwei für seinen Vater... — Man überlege sich: die Hungrigen speisen... das war für die Bettler und Landstreicher wie August mit seiner Ziehharmonika, Fine Pandur und andere. Wenn die bei ihm zu Hause an der Tür »beteten«, bekamen sie eine Kupfermünze oder ein Butterbrot; nur Fine Pandur bekam stets ein Butterbrot, nie Geld, weil sie sich bei Marie Lus Schnaps dafür kaufte. Und wenn ein fremder Bettler kam, wie jener Alte, der bei Vernelen das Hackmesser mitgenommen hatte, dann rief seine Mutter, ohne die Tür aufzumachen, und bevor der Bettler sein Vaterunser angefangen hatte: »Es gibt nichts!« — worauf der Bettler sein Gebet abbrach mit den Worten: »Verrecken sollt ihr, ihr stinkigen Geizkragen !« An einem Montag im vergangenen Sommer, gerade als sie mittags bei Tisch saßen, war so einer gekommen, der richtig ausgehungert zu sein schien. Er fing an, lang und breit zu erzählen, daß er Vaters Bruder, Onkel Dries aus Wolfsdonck, »sehr gut kannte«, daß er ein so guter und gerechter Mann wäre und ihm gerade gegenüber wohne. Und als dieser Kerl fünf Minuten später mit Sang und Klang an die Luft gesetzt wurde, weil er Geld »leihen« wollte, fing er auf der Straße an zu rufen: »Euer Dries ist das größte Schwein von Wolfsdonck!«
    — Die Durstigen tränken, — das war etwas für seinen Vater, der Sonntags abends, wenn er mit der Spinne und Franz Hase unterwegs war, immer einen gewaltigen Durst hatte und dann in den Kneipen »getränkt« wurde; auch für Johannes Raps, der viel Schnaps trank, um seinen Rheumatismus zu bekämpfen. — Die Nackten kleiden! ... alle Wetter, da mußte Flachskopf unwillkürlich an Adam und Eva denken, wie sie auf der ersten Seite seiner »Biblischen Geschichte« abgebildet waren, Adam hinter einem ruhig schlafenden Löwen und Eva hinter einem Blumenstrauch halb versteckt. Als
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