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Flachskopf

Flachskopf

Titel: Flachskopf
Autoren: Ernest Claes
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Marktplatz traf Flachskopf einige Kameraden, und während sie sich über die Dinge von gestern und heute unterhielten, erreichten sie die Schule. Vor der Mauer, die den Spielplatz von der Straße trennt, wartete die Schuljugend, bis sie eingelassen wurde. Einige lehnten sich an die Mauer oder hockten am Boden und besprachen die alltäglichen Ereignisse der Jungenwelt. Die meisten waren in der Breitestraße beim Bockspringen. Es war eine Reihe bis an die Wohnung des Gemeindeschreibers, und gerade als Flachskopf hinkam, prügelten sich Locke Moens und Kobe Luiten; denn Kobe, der stehen sollte, hatte sich geduckt, als Locke über seinen Rücken hinwegspringen wollte, was bewirkte, daß Lockes Hände ins Leere griffen und er mit dem Gesicht auf den Boden fiel. Locke hatte sich wieder erhoben und Kobe bei den Haaren gepackt, und dieser wehrte sich so grimmig, als wäre er der beleidigte Teil. Sie kratzten und bissen sich und traten sich mit den Füßen, bis endlich der Gemeindeschreiber auf der anderen Seite der Straße die Tür aufmachte und rief, »ob er ihnen, zum Kuckuck! vielleicht helfen sollte«. Vor dem Schreiber fürchteten sie sich mehr als vor dem Lehrer und ließen augenblicklich los; Kobe fing an zu weinen, woraus alle schlossen, daß Locke der Sieger sei.
    Flachskopf hatte ziemlich gleichgültig zugesehen. Locke gegen Kobe, das war nichts Besonderes, er hatte sie beide öfters schon auf den Rücken gezwungen. Er betrachtete die Zuckerplätzchen, die Hörnchen und Karamellen im Schaufenster von Rosine Bauer, spähte bei Franz Hase durchs Schlüsselloch und schlenderte dann auf eine Gruppe von fünf Knaben zu, die sich um den kleinen Moritz, den Sohn des Bahnhofsvorstehers, geschart hatten. Moritz war der einzige Schulknabe, der in Flachskopfs Augen niemals Gnade fand. Er war so ein zartes Kerlchen, mit Wadenstrümpfen und weißem Kragen, stets sauber angezogen, der Liebling des Lehrers, ein Speichellecker erster Güte und eigentlich der dümmste Esel in der ganzen Schule. Sich mit Moritz schlagen war keine Ehre, da er sofort anfing zu heulen; auf einen Baum klettern konnte er nicht; schwimmen,— einmal, nach langem Zögern, war er mitgegangen, und da hatte ihn Flachskopf im Wasser so scheußlich behandelt, daß er einen ganzen Tag krank gewesen war. Moritz schnitt einen Apfel in so viele Stücke, wie Kameraden um ihn standen, und als er jedem seinen Teil gegeben hatte, holte er einen zweiten Apfel aus der Tasche, den er selber essen wollte.
    »Krieg ich ein Stück ?« fragte Flachskopf, der für den ersten Apfel zu spät gekommen war.
    Moritz biß noch ein paarmal kräftig in seinen Apfel und gab Flachskopf den Rest.
    »Der Letzte kommt am besten weg«, sagte Flachskopf zu den entrüsteten Kameraden, die fanden, daß Flachskopf ein so großes Stück nicht hätte bekommen sollen.

    D ie braune Tür in der hohen Mauer öffnete sich, und die Schulknaben strömten auf den Spielplatz.
    Der Lehrer stand neben der Tür zum Schulzimmer, hielt die Hände auf dem Rücken und starrte vor sich hin. Er rauchte seine Pfeife und betrachtete mit mürrischem Gesicht die hereinströmende Jugend. Er war ein kleiner, magerer Mann mit struppigem schwarzem Haar und schwarzem Schnurrbart. Wenn man von ihm Prügel bekam oder wenn er einen überzeugen wollte, daß man ein Esel oder ein Schwein oder irgendein anderes Tier sei, dann kam dieser Schnurrbart einem so nah, daß man zwischen den Haaren auf der Oberlippe eine große Warze sehen konnte. Das wußte Flachskopf schon, nachdem er zwei Tage in der oberen Klasse gesessen hatte.
    Die Jungen warteten noch einige Minuten auf dem Spielplatz, bis der Lehrer nach der Uhr sah, seine Pfeife am Fenstersims ausklopfte, sich vor die Tür stellte und rief: »In Reih und Glied!«

    In einer doppelten Reihe stellten sie sich schweigend vor ihm auf; und als er hineinging, folgten sie, hängten ihre Mützen an den Kleiderhaken und setzten sich auf ihre Plätze. Dann entstand ein Rumoren und ein Gepolter von Holzschuhen in den Bänken, bis der Lehrer das Kreuzzeichen machte und ein Vaterunser und einen Englischen Gruß vorbetete. Darauf folgte ein Stöbern in den Bänken, ein Auf- und Zuschlagen von Büchern.
    Vor Flachskopf saß Dries vom Weidenhof, und hinter dessen breitem Rücken konnte er ungestört seinen Katechismus aufschlagen, ohne daß der Lehrer es bemerkte.
    Der Lehrer nahm seinen Katechismus zur Hand und fing an, das Kapitel über die Werke der Barmherzigkeit abzuhören. Die erste
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