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Von Moerdern und anderen Menschen

Titel: Von Moerdern und anderen Menschen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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    Kein Verlaß auf Telemach
     
     
     
    Keine laue Maiennacht. Es hätte eher ein Novemberabend sein können. Seit Stunden goß es in Strömen, und der windgepeitschte Regen war so kalt, so deprimierend, daß die Menschen vor ihm flohen.
    Wer sollte da schon vorüberkommen und die Stimme hören, die, schon ziemlich schwach allerdings, in regelmäßigen Intervallen um Hilfe rief? Auf Autofahrer war jetzt kaum zu hoffen. Die Bundesstraße führte hier, von Dornrath kommend, in einem breiten Tunnel unter der Bahn hindurch. Gleich hinter der Unterführung war die weiße Fahrbahnbegrenzung rechts unterbrochen; hier stieg schräg die Böschung hinauf. Von daher kam die Stimme, aus einem ziemlich flachen Abflußgraben, der eben tief genug war, um den Körper eines Mannes aufzunehmen. Bis zu dem einzelnstehenden Haus hinauf, bis zum Telefon, waren es noch keine dreißig Meter, doch für den Mann im Graben hätten es ebensogut dreißig Lichtjahre sein können.
    «… bitte… anhalten… Helft mir doch… Ihr könnt mich doch nicht hier so…! Anhalten…!»
    Ein Lkw fuhr vorüber. Der Mann wimmerte. Er wollte sich aufraffen, ein Stück näher an die Bundesstraße kriechen, aber er rutschte wieder in den Graben zurück.
    Ich kann nicht mehr; dachte der Mann. Mein Kopf… Jutta… Warum hält denn keiner… Warum das alles… Doch nicht so schlimm, daß…
    Ein hellerleuchteter TEE-Zug jagte oben über die Gleise.
    … hier liegenlassen. Ich… «Ihr Schweine ihr! Ihr könnt mich doch nicht so… Hilfe! Mein Gott, ich… Beten… Hilf mir doch! Ich… Anhalten!»
    Ein weiterer Pkw zischte vorbei, der fünfte bereits, ohne zu bremsen. Der Wind zerriß die Sprühwasserfontäne und wirbelte sie zu dem Mann hinüber.
    «An-hal-ten… Keiner… Ich bin doch… Ich habe doch… ganz anders gewesen… keine Schuld… HIL-FE!»
    Der ärgerliche Signalton einer Lok, die Rot bekommen hatte, war hundertmal lauter als seine Stimme.
    Es gibt Gegenden in Deutschland, wo Bahnreisende den Kopf vom Fenster wenden und entweder lesen oder aber, wenn die Monotonie ein Weilchen anhält, sich zu einem Schläfchen zurücklehnen. Zum Beispiel gleich hinter Dornrath, wo das flache, düster-diesige Land von Starkstromleitungen häßlich zerschnitten und am Horizont von Autobahnen und deren Zubringern zusammengeschnürt wird. Dazwischen an sauber gezogenen Straßen konzeptlos verstreut schmucklose Häuser, denen man ansieht, daß ihre Bewohner mit dem Pfennig rechnen müssen. Hier was angestückelt, dort was angepappt; zum Nachbarn hin meist ein unterschiedlich großer Zwischenraum, manchmal ein halber Kilometer. Gelegentlich der irgendwann abgebrochene Versuch einer Satellitenstadt. Das Ganze weder Stadt noch Dorf, nur Siedlungsmischmasch.
    Hier hatten sich die Eltern Jutta Machniks, der jetzigen Wirtin, seinerzeit das Gasthaus am Bahndamm gekauft, und während ihr Mann in der Welt herumzog, schmiß sie den Laden hier. Und ihretwegen kamen die Männer – nicht, weil das Bier besser oder billiger gewesen wäre als anderswo. Ganz schön drall war sie und ganz schön tüchtig. Soubretten sahen so aus, Chansonetten, die anzügliche Lieder sangen.
    Auch an diesem Abend konnte sie mit Besuch und Umsatz zufrieden sein. Kein freier Stuhl mehr. Die Stimmung gut. Die Spielautomaten spuckten genügend Groschen aus, drüben beim Pool-Billard gewannen stets die Richtigen, und die Musicbox war so bestückt, daß ein jeder seinen ganzen häuslichen und beruflichen Scheiß mal für ein paar Viertelstunden vergessen konnte. Jetzt, bei der ‹Schönen Maid›, sangen oder summten alle mit.
    Auch die drei Skatspieler am Stammtisch, wo Kujawa wieder mal das große Wort führte. «Los, nun gib schon – hat sich schon mal einer totgemischt!»
    Seine beiden Mitspieler waren es gewohnt, Autorität zu akzeptieren, Waller als Oberinspektor bei der Landesregierung und Sendrowski als Metallprüfer bei Krupp.
    Sie besahen sich ihre Karten, und das Ritual des Reizens begann. Achtzehn…? – Ja. – Zwanzig…? Ja. – Zwo…? – Hm, hm. – Drei…? – Passe.
    «Also – dreiundzwanzig?»
    «Null…?» Sendrowski überlegte kurz. «Immer!»
    Kujawa sah ihn unfreundlich an. «Dann spiel man auch. Hier…» Er schob ihm den Skat hinüber und suchte dann nach Jutta Machnik. «Frau Wirtin – hier warten die Vergessenen. Unser Bier!»
    «Kommt sofort!» rief Jutta Machnik vom Tresen her.
    Waller lachte. «Bleib ruhig, Junge!»
    Kujawa stöhnte bühnenreif. «Halt mich bloß
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