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Finster

Titel: Finster
Autoren: authors_sort
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Bürgersteig, als sie den Kopf senkte und mit der Katze sprach. »Komm her, Kätzchen«, konnte ich hören. Sie streckte ihre Hand neben dem rechten Knie aus, um die Katze anzulocken.
    Die Katze riss ihr Maul weit auf und stieß ein lautes
»Miiiau« aus, als wollte sie sagen: »Ich habe dich gesehen. Immer mit der Ruhe, ich bin schon unterwegs.« Zuerst war sie abweisend und scheu, doch dann näherte sie sich schließlich der Hand.
    Kurz darauf ließ sie sich fallen und schien vor Wohlbehagen zu schmelzen. Die Frau sprach sanft mit dem Tier, während sie es streichelte, aber ich konnte nicht hören, was sie sagte. Sie verbrachte ungefähr drei oder vier Minuten damit, das Tier zu liebkosen. Als sie aufstand und weitergehen wollte, rieb sich die Katze an ihren Schienbeinen und Waden, glitt zwischen ihren Beinen hindurch, wickelte sich fast um ihre Unterschenkel, damit sie stehen blieb.
    Die Frau stolperte beinahe über die Katze, lachte leise und befreite sich mit einem Hüpfer. Als sie weiterging, duckte ich mich hinter einem nahen Baum. Ich spähte hinter dem Stamm hervor und sah, wie die Katze mit erhobenem Schwanz hinter ihr hertänzelte.
    »Miiiau!«
    Sie blickte zu dem Tier zurück und sagte: »Na gut, aber nur eine Minute.«
    Dann drehte sie sich vollständig um und sah in unsere Richtung.
    Ich zog meinen Kopf hinter den Stamm zurück. Während ich abwartete, starrte ich auf die Rinde des Baums wenige Zentimeter vor meiner Nase.
    »Ja«, hörte ich sie sagen. »Du bist ein armes kleines Kerlchen, stimmt’s? Das bist du.«
    Ich konnte sie nicht sehen. Ich konnte sie nur hören. Sie hatte eine wundervolle, seltsame Stimme. Es lag nichts
Mädchenhaftes darin. Man könnte sie als maskulin bezeichnen, wenn sie nicht zugleich weich und melodisch geklungen hätte. Sie schnurrte beinahe, als sie mit der Katze sprach.
    »Ja, das gefällt dir, oder? Hm, ja. Das fühlt sich wirklich gut an.«
    Als ich einen Blick um den Baumstamm herum wagte, sah ich, dass sie über der Katze hockte und beide Hände zwischen ihren gespreizten Knien hindurchstreckte, um sie zu streicheln. Die Katze lag ausgestreckt auf der Seite.
    »Meinst du, das reicht jetzt?«, fragte sie das Tier. »Davon kann man nie genug bekommen, was?« Sie tätschelte die Katze noch einmal und machte Anstalten, sich aufzurichten, deshalb konnte ich nicht länger zusehen.
    Ein paar Sekunden vergingen. Dann sagte das Mädchen mit ihrer vollen, tiefen Stimme: »Bis dann, Kätzchen.«
    Ich blieb hinter dem Baum und horchte. Es drangen keine Geräusche mehr aus Richtung des Mädchens und der Katze herüber. Schließlich riskierte ich einen weiteren Blick. Die Katze lag immer noch ausgestreckt auf dem Bürgersteig, offenbar zu träge, um weiterzuziehen. Das Mädchen hatte bereits die nächste Straße überquert.
    Sie blickte nicht zurück.
    Ich verließ mein Versteck hinter dem Baum und lief die Straße entlang. Während ich über die Katze hinwegschritt, hörte ich sie schnurren. Dann hob sie den Kopf und maunzte, als würde sie sich von mir gestört fühlen.
    Ich ging weiter.
    Als ich zurückblickte, war die Katze immer noch dort, lag dünn und lang ausgestreckt auf dem hellen Beton,
schien in Erinnerungen an die Hände des Mädchens zu schwelgen und zu hoffen, sie käme zurück.
    Ich überquerte ebenfalls die Straße. Das Mädchen war schon bis zur Mitte der nächsten Häuserzeile gekommen, und ich beeilte mich, um den Abstand zwischen uns zu verringern.
    Ich hatte das Gefühl, meine Augen würden magisch von ihrem Rücken angezogen.
    Doch ich musste für einen Moment zur Seite gesehen haben. Ich bin nicht sicher, was mich ablenkte.
    Als ich wieder nach vorn blickte, war der Bürgersteig vor mir leer.
    Das versetzte mir einen Stich.
    Wo war sie?
    Mein erster Gedanke war, dass ein Entführer sie sich geschnappt hatte. Wo ich sie zuletzt gesehen hatte, war der Garten rechts von ihr teilweise von dichten Hecken umgeben. Er könnte sie aus meinem Blickfeld gezerrt haben … Ich rannte los.
    Aber was, wenn sie den Garten aus freien Stücken betreten hatte … vielleicht, um zu einem streunenden Hund oder einer weiteren Katze zu gehen?
    Ich hörte auf zu rennen.
    Immer noch ging ich zu schnell und sagte mir: Langsam. Ich bin nur ein Typ, der hier zufällig vorbeiläuft.
    Ich bemühte mich, langsam zu gehen, doch mein Herz raste.
    Und wenn sie da am Boden liegt? Wenn irgendein Dreckskerl sie vergewaltigt?
    Sie würde schreien, dachte ich.

    Nicht, wenn er sie k. o.
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