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Finster

Titel: Finster
Autoren: authors_sort
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geschlagen hat. Oder sie getötet hat.
    Mühsam unterdrückte ich den Impuls, erneut loszulaufen, und schritt an der Hecke entlang. Das Haus dahinter war dunkel, der Rasen in Schatten gehüllt. Langsam ging ich weiter. Sehr langsam. Ich hielt die Augen offen und lauschte.
    Niemand schien dort am Boden zu liegen.
    Ich hörte keine Kampfgeräusche.
    Hat er sie hinter das Haus gebracht?
    Auf der dunklen Veranda bewegte sich etwas.

4
    Mit nach vorne gerichtetem Blick ging ich weiter. Nachdem ich an der Hecke, die den Rasen umgab, vorbei war, tat ich sogar noch ein paar zusätzliche Schritte. Dann duckte ich mich und schlich zu den Büschen zurück. Ich spähte an den Sträuchern vorbei zum Haus.
    Vom Gartenweg führten ein paar Stufen hinauf zur Veranda, die von einem hölzernen Geländer umgeben war. Ein Vordach schirmte das schwache Licht der Nacht ab. Während ich in die Dunkelheit starrte, fragte ich mich, wie es überhaupt möglich war, dass ich dort eine Bewegung gesehen hatte. Vielleicht hatte ich mir das nur eingebildet.
    Dann tauchte in der Schwärze der Veranda ein ungefähr zwei Meter langer, grauer horizontaler Streifen auf.

    Zuerst wusste ich nicht, was es war. Erst als der Streifen langsam breiter wurde, begriff ich, dass es sich um gedämpftes Licht aus dem Inneren des Hauses handelte. Die Tür wurde geöffnet.
    Aber sie wurde so langsam geöffnet, so verstohlen, als wäre es ein verbotener Akt.
    Mir lief ein Schauder über den Rücken.
    Was geht hier vor?
    Als die graue Fläche groß genug war, schlüpfte eine schwarze Gestalt hindurch. Die Gestalt trug einen Pferdeschwanz.
    Einen Augenblick später begann sich die graue Fläche zu verkleinern. Dann war sie verschwunden.
    Plötzlich musste ich lächeln.
    Natürlich!
    Das Mädchen war heimlich aus dem Haus gegangen. Wahrscheinlich hatte sie sich herausgeschlichen, nachdem ihre Eltern ins Bett gegangen waren, vielleicht um sich mit ihrem Freund zu treffen, und ich war Zeuge ihrer Rückkehr geworden.
    Das raffinierte kleine Ding!
    Beinahe hätte ich gelacht. Mir fiel nicht nur ein Stein vom Herzen, ich war auch beeindruckt von ihrem Mut.
    Von meinem Platz am Rand der Hecke beobachtete ich weiter das Haus. Alle Fenster blieben dunkel. Das passte ins Bild. Nachdem sie sich so vorsichtig hineingeschlichen hatte, würde sie bestimmt nicht durchs Haus rennen und die Lampen anschalten. Nein, sie würde im Dunkeln weitergehen.
    Wahrscheinlich hatte sie in der Diele die Schuhe ausgezogen.
In der einen Hand trug sie die Schuhe, mit der anderen tastete sie sich am Geländer entlang lautlos die Treppe hinauf.
    Ich kannte die Prozedur; ich hatte es als Jugendlicher selbst so gemacht. Ich wusste, dass sie sich sehr langsam bewegte, aus Angst, eine Diele könnte unter ihren Füßen quietschen. Und ich kannte die Aufregung, die sie wahrscheinlich verspürte.
    Ich wusste auch, dass sie schließlich eine Lampe anschalten würde.
    Wenn sie sich geschickt anstellte, würde sie sich oben in ihr Zimmer schleichen und im Dunkeln ihre Kleidung ablegen. Einmal unbemerkt ins Haus gelangt, ist die Kleidung das Einzige, was einen verraten kann. Man muss sie ausziehen und den Pyjama oder das Nachthemd oder was immer man zum Schlafen trägt, anziehen, dann hat man es geschafft. Nun kann man ruhig das Licht in seinem Zimmer einschalten, ins Bad gehen und auch dort das Licht anmachen … Selbst wenn man gesehen wird, weiß niemand, dass man draußen war.
    Während ich darauf wartete, dass ein Licht anging, fiel mir auf, dass ich auf das dritte Fenster im ersten Stock starrte.
    Dämlich.
    Das war nicht Hollys Wohnheim, sondern das Zuhause einer Fremden. Jedes der Fenster hätte zu dem Zimmer des Mädchens gehören können. Oder keines davon; ihre Fenster hätten auch zur Rückseite hinausgehen können. Ihr Zimmer könnte sogar im Erdgeschoss gelegen haben, auch wenn das eher unwahrscheinlich war; in den alten
zweigeschossigen Häusern befanden sich die Schlaf- und Kinderzimmer fast immer oben.
    Einige Minuten vergingen, doch hinter keinem der Fenster erschien Licht.
    Mittlerweile hatte sie reichlich Zeit gehabt, in ihr Zimmer zu gelangen. Wahrscheinlich war sie schon dort und zog sich im Dunkeln aus. In meiner Vorstellung war es jedoch nicht völlig dunkel. Schwacher Mondschein drang durch das Fenster und beleuchtete sie, während sie ihr dunkles Sweatshirt auszog.
    Aber in welchem Zimmer?, fragte ich mich. Hinter welchem Fenster?
    Plötzlich wurde mir klar, dass ihr
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