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Final Cut - Etzold, V: Final Cut

Final Cut - Etzold, V: Final Cut

Titel: Final Cut - Etzold, V: Final Cut
Autoren: Veit Etzold
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zwei Sekunden in sich auf.
    In der nächsten Sekunde sah sie den Pulsfrequenzmesser, den der Namenlose mit einer Sonde an seinem Hals befestigt hatte und der ihren Blick zu dem EKG-Gerät lenkte, das vorher so monoton gepiept hatte und jetzt kaum mehr zu hören war, da sich die Herzfrequenz des Mannes am Tisch dramatisch verringerte. Das EKG-Gerät wiederum lenkte Claras Blick zu einem Zeitzünder, der mit vier Kabeln in die vier Ecken des Gewölbes führte.
    Clara waren die vier großen Tonnen schon vorher aufgefallen, doch sie hatte sie nur schemenhaft wahrgenommen, so, wie man etwas aus den Augenwinkeln bemerkt. Jetzt zoomte ihr Blick wie ein Teleobjektiv näher an diese Tonnen heran. Sie sah das chemische Zeichen auf der blauen Oberfläche der Behälter. C 7 H 5 N 3 O 6 . Sie war keine Chemikerin, aber sie kannte die Formel. C 7 H 5 , eine Toluol- Verbindung, bestehend aus sieben Kohlenstoff- und fünf Wasserstoffatomen, verbunden mit drei Gruppen von Stickstoffdioxid, NO 2 , wegen der dreifachen Nitro-Struktur auch genannt Tri-Nitro-Toluol.
    Oder kurz: TNT .
    Clara schrie, so laut sie konnte:
    »RAUS HIER! SOFORT RAUS!«
    Und rannte.

22.
    Die Wucht der Explosion war verheerend. Clara und die anderen stürmten durch die Haustür und warfen sich hinter die Einsatzwagen, die mit Blaulicht vor dem Haus standen, zu Boden.
    Die Druckwelle fegte über sie hinweg wie der Atem eines zornigen Gottes. Bretter, Steinbrocken, Möbel, Fensterrahmen und Glas wurden wie in einer Vulkaneruption in die Höhe geschleudert. Glaswolle aus dem Dach verfing sich in den Ästen der kahlen Bäume. Balken und Möbelteile landeten krachend in fünfzig Metern Entfernung vom Haus auf der vom Regen aufgeweichten Erde. Krähen und andere Vögel erhoben sich mit panischem Krächzen aus dem umliegenden Wald, und ein Regen aus Asche und Staubpartikeln fiel vom Himmel, als sich die Wolken lichteten und die letzten Strahlen der blutroten Abendsonne zögernd durch den Nebel stachen.
    Der Namenlose hatte sich selbst getötet. Und er hatte alle anderen mitnehmen wollen. Deshalb hatte er Andira in dem Kellerraum zurückgelassen. Warum nur einen Menschen töten, wenn man auch zehn töten kann? Robert Ressler hatte auf den Unterschied zwischen Serienkiller und Massenmörder hingewiesen. Der Namenlose war Serienkiller und Massenmörder gewesen.
    Claras Ohren pfiffen wie nach einem Heavy-Metal-Konzert. Die letzten Sonnenstrahlen des Tages beleuchteten das zerstörte Haus, das wie ein rauchender, aufgesprengter Krater aus der brennenden Erde ragte, gleich einem zerplatzten Schädel, den ein Selbstmörder sich mit einem Schuss in den Mund zerschmettert hatte und dessen Innenleben in den Bäumen hing wie Gehirnspritzer an der Zimmerpalme. Sie sah Winterfeld, der sich mit unsicheren Schritten auf seinen Wagen zubewegte, sah MacDeath, dessen Brille zerbrochen war, sah Marc und Philipp, die beide ihre Helme verloren hatten, ihre Heckler & Koch-Gewehre aber weiterhin umklammert hielten.
    Und sie sah die zwei Polizisten, die Andira in die Obhut der Notärzte und des Polizeipsychologen gaben, nachdem sie die junge Frau, die hysterisch schrie und um sich schlug, aus dem todgeweihten Haus gezerrt hatten. »Es ist vorbei!«, rief einer der Polizisten ihr zu und schüttelte sie, während sie mit leeren, glasigen Augen vor sich hin starrte. »Es ist vorbei. Er kann dir nichts mehr tun. Er ist tot. To t!«
    Clara verbiss sich die Schmerzen im linken Arm, der schlaff von ihrer Schulter hing, und erhob sich. Mit vorsichtigen Schritten ging sie auf das Haus zu, schaute zur Seite, zu Andira und dem Notarztwagen, blickte in die untergehende Sonne und sah schließlich auf den Boden. Und dort fand sie das, was sie eben aus den Augenwinkeln gesehen hatte, etwas, das beinahe unbeschadet dieser Flammenhölle entkommen und inmitten des Chaos träge zur Erde geschwebt war.
    Sie hob es auf.
    Es war ein Schwarzweißfoto.
    Es zeigte ein junges Mädchen, ungefähr zehn Jahre alt. Die blonden Haare zu Zöpfen geflochten, die Augen wach und voller Leben und Neugier. Auf der Rückseite stand, ein wenig verwischt und mit altmodischem Füller geschrieben: Elisabeth, 1978.
    Clara schaute durch das Schwarzweiß des Fotos hindurch, das sich mit dem roten Licht der sterbenden Sonne mischte, und blickte auf die graue, rauchende Ruine des Hauses. Tränen schimmerten in ihren Augen.
    Elisabeth.
    Ein wenig sieht sie aus wie Claudia.
    Clara ging mit langsamen Schritten weiter, das Foto in der
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