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Final Cut - Etzold, V: Final Cut

Final Cut - Etzold, V: Final Cut

Titel: Final Cut - Etzold, V: Final Cut
Autoren: Veit Etzold
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zitternden Hand, in Richtung der untergehenden Sonne, die zwischen den grauschwarzen Regenwolken das Feld mehr und mehr der Nacht überließ. Sie wollte jetzt mit niemandem sprechen.
    Noch einmal blickte sie auf das Foto, auf die strahlenden Augen des Mädchens, in denen so viel Neugier und kindliche Freude lag.
    Und endlich kamen die Tränen.
    Elisabeth und Claudia.
    Beide waren viel zu früh aus dem Leben gerissen worden, beide durch einen schrecklichen Akt der Gewalt. Beide hatten die Welt der Erwachsenen nur dadurch kennengelernt, indem sie durch ebendiese Welt gestorben waren. Doch was blieb, waren die Ehrlichkeit, die aufrichtige Freude und die Neugier, mit der sie als Kinder das Leben entdeckt und erkundet hatten, und die Erinnerung bei jenen, die zurückgeblieben waren. In der wirklichen Welt. Der Welt aus Angst und Schmerz und Blut und Tod.
    Und so wie ein Foto immer das Schöne und das Unzerstörbare zeigte, egal, was sich in der Wirklichkeit seitdem tatsächlich ereignet hatte, so würden auch Claudia und Elisabeth nun ewig Kinder sein und für immer die Welt eines Kindes in ihren Seelen tragen, egal, wohin die Schwingen des Todes sie gebracht hatten. Und genauso würden sie auch denen in Erinnerung bleiben, die in der Welt der Lebenden zurückgeblieben waren.
    Wunderschön, unschuldig und unzerstörbar.
    In den Herzen aller, die sie liebten.
    Für immer.

Epilog
    Je länger ein Mensch tot ist, desto besser versteht man ihn.
    Und Clara schien es, als habe sie ihre Schwester noch einmal gesehen, wie sie unbeschwert über die grünen Wiesen lief und die Kühe zum Narren hielt – dank des Fotos im Flammeninferno.
    Clara trug den Arm in einer Schlinge. Mindestens zwei Wochen würde sie ihn ruhig halten müssen. Das wird ein eher geruhsamer Urlaub , dachte sie. Vielleicht würde sie gar nicht weit wegfahren, vielleicht nur an die Ostsee oder nach Dänemark. Würde alte Freundinnen anrufen, die sie seit Ewigkeiten nicht gesehen hatte. Und sie würde sich schon einmal Gedanken machen, was sie Freunden und Verwandten zu Weihnachten schenken konnte. Bald war November, und zu früh war besser als zu spät.
    Bellmann war noch im Büro, gratulierte Clara und schüttelte ihr lange die Hand, ebenso Winterfeld, Hermann und die Jungs vom Mobilen Einsatzkommando.
    Als Letzter kam MacDeath. Da seine alte Brille zerbrochen war, trug er ersatzweise ein äußerst hässliches Kassengestell.
    »Jetzt, wo alles erledigt ist«, sagte er und kniff ein Auge zu, »können wir an unseren Whisky denken, was meinen Sie?«
    Clara musste lachen. Herzhaft und befreiend.
    »Mit der Brille?« Sie lachte noch lauter und wusste nicht, warum. »Ich weiß nicht recht ...«
    MacDeath hatte mit einigen Antworten gerechnet, aber nicht mit dieser. »Montag habe ich eine neue.«
    »Ich rufe Sie gleich an«, sagte Clara und lachte noch immer.
    Sie ging in ihr Büro und setzte sich an ihren Schreibtisch, ein letztes Mal vor ihrem Urlaub, klappte ein letztes Mal ihren Laptop auf, prüfte ein letztes Mal ihre Mails – und erstarrte.
    Ein Mailabsender stach ihr ins Auge.
    Vladimir Schwarz
    War das die Mail, die er abgeschickt hatte, kurz bevor sie in das unterirdische Mausoleum eingedrungen waren? Die Mail eines Mannes, der nicht mehr existierte, der aber noch einmal die Hand aus dem Grab ausstreckte?
    Sie öffnete die Mail. Wieder eine Mediendatei. Liesmichzuerst. Daneben ein PDF. Liesmichdanach.
    Mit zitternden Fingern machte sie einen Doppelklick auf die Mediendatei.
    Der Bildschirm war schwarz.
    Dann sah sie das Gewölbe.
    Das gleiche Gewölbe, das sie vorhin in dem verfluchten Haus gesehen hatte, kurz bevor alles explodiert war.
    Und dann sah sie Vladimir.
    Den Namenlosen.
    Er trug ein schwarzes T-Shirt, genau so, wie sie ihn vorhin gesehen hatte, und blickte starr in die Kamera.
    »Clara Vidalis«, sagte er, und sein Schlangenblick bannte ihre Augen. »Viele von uns hoffen, Schauspieler zu werden oder Rockstar oder irgendeine andere Berühmtheit.« Er schüttelte mit einem sadistischen Grinsen den Kopf. »Werden wir aber nicht. Wir werden einsam, krank und verzweifelt alt. Und wenn wir Glück haben, werden wir irgendwann sterben.« Er fletschte die Zähne. »Und wenn wir dann noch einmal Glück haben, ist alles zu Ende. Wenn wir Glück haben, erwartet uns keine Hölle, die genauso eintönig, trostlos und voller falscher Hoffnungen ist wie das Leben, das wir jetzt führen – dann allerdings nicht nur für achtzig Jahre, sondern für immer und
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