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Final Cut - Etzold, V: Final Cut

Final Cut - Etzold, V: Final Cut

Titel: Final Cut - Etzold, V: Final Cut
Autoren: Veit Etzold
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ewig.«
    Er starrte Clara ein paar Sekunden lang unverwandt an.
    »Aber kommen wir zur Sache. Wenn Sie diese Mail öffnen können, haben Sie überlebt. Ich gratuliere. Doch bevor Sie jetzt anstoßen und sich auf die Schulter klopfen, möchte ich Ihnen gerne die Nüchternheit zurückgeben, die Sie in Ihrem Beruf so dringend brauchen.
    Sie, Clara, glauben vielleicht, dass Sie gesiegt haben, dass Sie etwas erreicht haben, was Ihre Schuld ein wenig mindert. Doch am Ende haben Sie nur einen einzigen Menschen gerettet. Und wie viele sind in den Tod gegangen? Bei wie vielen ist genau das geschehen, was ich Ihnen jetzt zeige?«
    Er hielt inne. Clara fragte sich voller Entsetzen, was geschehen würde. Was wollte er ihr zeigen?
    Plötzlich hielt er zwei Skalpelle in den Händen. Er setzte sie jeweils am Ellbogen des anderen Armes an und schlitzte sich mit zwei schnellen, ruckartigen Bewegungen die Unterarme auf. Dann hielt er beide Arme in die Höhe. Helles Blut spritzte auf sein Gesicht, auf sein T-Shirt und die Tastatur. Ein einzelner Tropfen traf die Webcam, die nun alles durch einen bizarren Rotfilter zeigte wie vorhin die sterbende Sonne auf dem Feld. Seine Augen wurden glasig, doch er sprach weiter, als würde das alles gar nicht geschehen, als würde es ihn nichts mehr angehen, als würde ein anderer sprechen.
    Doch er war es. Vladimir Schwarz.
    Der Namenlose.
    » Im Anhang finden Sie ein PDF«, sagte er. Clara konnte hören, wie seine Stimme immer schwächer wurde. »Es enthält die Namen und Adressen all meiner Opfer. Gehen Sie hin, und schauen Sie sie an. Die restlichen zwölf Frauen und sechs Männer, die Sie alle noch nicht gesehen haben.« Er hustete und sprach weiter.
    »Genauer gesagt, sieben Männer. Denn ich habe mich nicht nur selbst getötet, um das heilige Opfer der Fünfzehn zu erfüllen, ich nehme Ihnen auch die Möglichkeit, mich in irgendeiner Anstalt wie eine Trophäe ausstellen zu lassen und in die Hände sogenannter Analytiker zu geben.«
    Er hob die Hände an die Stirn, einem Denker gleich, während das Blut aus den klaffenden Wunden auf sein Gesicht spritzte. Clara wusste nicht, was schrecklicher war: Das Blut, das groteske Muster auf Vladimirs Antlitz malte, oder die Tatsache, wie gleichgültig ihm dieses Blut, sein Blut, zu sein schien.
    »Sie haben ein Opfer gerettet, Clara. Ein gerettetes Opfer auf Ihrer Seite, vierzehn tote Frauen und sieben tote Männer auf meiner Seite.« Er grinste diabolisch aus einem Gesicht, das bereits so eingefallen und aschfahl aussah wie das eines Toten und aus dem die Farbe des Lebens entwich, so wie vorhin das Sonnenlicht vor dem zerstörten Haus aus der Welt geflüchtet war. »Macht einundzwanzig zu eins für mich.«
    Noch ein verzerrtes Lächeln, die Zähne um die blutleeren Lippen gebleckt, was ihm das Aussehen eines Totenschädels verlieh.
    »Es werden andere nach mir kommen, die die Zahl erhöhen werden, die weit über die Einundzwanzig hinausgehen werden. Und Sie? Werden Sie über Ihre Eins hinausgehen, oder werden Sie nur untätig vor sich hin brüten, so wie Sie jahrelang vor dem leeren Grab Ihrer Schwester gestanden haben?«
    Clara bekam kaum noch Luft, konnte nicht sprechen, konnte nichts tun, konnte nur gebannt zuhören.
    »Denn ich bin nicht der Erste«, sagte der Namenlose. »Und ich bin nicht der Letzte.«
    Die gleichen Worte, die auch Jasmin und Julia gesprochen hatten.
    Er hob ein letztes Mal die weißgrauen Hände. Clara schaute in Augen, die sie mit einer Mischung aus Gleichgültigkeit und Kälte anstarrten und in denen das Leben beinahe schon erloschen war, während die Blutfontänen allmählich versiegten.
    »Clara«, sagte er ein letztes Mal. »Ich bin Vladimir. Ich bin bereits tot. Doch das Chaos geht weiter.«
    Der Bildschirm wurde schwarz.
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