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Final Cut - Etzold, V: Final Cut

Final Cut - Etzold, V: Final Cut

Titel: Final Cut - Etzold, V: Final Cut
Autoren: Veit Etzold
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Priestern, die ihre Geschichte schon einmal gehört hatten. Doch den Geistlichen, der ihr diesmal die Beichte abnahm, hatte sie noch nie gesehen.
    »Ich bin gekommen, um meine Sünden zu bekennen. Meine letzte Beichte ... war vor einem Jahr. Am meisten beschäftigt mich ... meine Schwester ...«, sagte sie stockend, denn wie jedes Mal wusste sie nicht, wie sie beginnen sollte. »Meine Schwester war acht, als sie entführt wurde. Der Täter ... er hat sie vergewaltigt und getötet. Und es war meine Schuld.«
    »Wie lange ist das her?«, fragte der Priester.
    »Zwanzig Jahre.« Es war der 23. Oktober 1990 gewesen, ein Mittwoch, als sie ihre Schwester das letzte Mal gesehen hatte. Genau um 16 Uhr. »Ich wollte sie von der Schule abholen ... von der Musikschule. Sie hat sich auf mich verlassen, aber ich bin nicht gekommen. Deshalb fiel sie dieser Bestie in die Hände.« Sie fing leise zu weinen an. »Er hielt sie tagelang gefangen und hat sie missbraucht ... immer wieder. Und am Ende«, ihre Stimme war nur noch ein heiseres Flüstern, »hat er sie umgebracht.« Jetzt kamen die Tränen wie ein Sturzbach der Verzweiflung. »Er hat Fotos davon gemacht ... wie er es getan hat ...«
    Der Priester blieb stumm. Schließlich räusperte er sich. »Das ist eine furchtbare Geschichte. Es ist gut, dass Sie damit zu mir kommen.« Er machte eine Pause. »Hat man den Täter gefasst?«
    Eine seltsame Frage für einen Beichtvater.
    Die Frau schüttelte den Kopf. »Nein. Die Polizei sagte damals, sie würden alles tun. Heute weiß ich, dass sie nichts getan haben, gar nichts. Sie haben Kaffee aus ihren Pappbechern getrunken, immer wieder auf die Uhr geschaut und um vier Uhr Feierabend gemacht, während meine Schwester vor Angst und Schmerzen wahnsinnig wurde. Ich weiß es genau.«
    »Woher?«
    »Weil ich auch zu dem Verein gehöre. Aber ich bin anders als diese Versager damals. Denn ich jage solche Ungeheuer wie den Mörder meiner Schwester. Ich jage und ich töte sie.«
    »Sie sind bei der Polizei und jagen Mörder?«
    »Serienkiller.« Sie schluckte. »Manchmal weiß ich nicht, ob es klug ist, denn immer wieder werde ich daran erinnert, wie ich bei meinem ersten und schrecklichsten Fall versagt habe. Aber es ist meine Bestimmung. Ich muss diese Bestien jagen ... ich muss sie finden, und ich muss sie töten ...« Sie weinte wieder.
    Sie konnte das Nicken des Priesters durch das Holzgitter sehen. »Ihr Hass ist verständlich. Aber Sie dürfen nicht Tod mit Tod vergelten. Jesus hält uns dazu an, Milde zu zeigen. Um Vergebung zu finden, muss man anderen vergeben.«
    »Auch dem Mörder meiner Schwester?«
    »Auch ihm.«
    Sie machte eine lange Pause. Vergebung für diesen Vergewaltiger? Diesen Schänder und Schlächter? Unmöglich. Ihr Hass auf diese Kreatur war grenzenlos. Sie wollte ihn in Stücke reißen, das Blut aus ihm herauspressen und die Überbleibsel zu Pulver zerstampfen, bis von dem Mörder nichts mehr übrig blieb als ein rot gefärbter Nebel.
    Sie wartete, bis ihr innerer Aufruhr abgeklungen war. »Was geschieht mit dem Mörder, wenn er stirbt?«, fragte sie dann. »Was glauben Sie?«
    Der Priester faltete die Hände. »Mord verstößt gegen das fünfte Gebot. Und es ist eine schwere Todsünde. Wenn er nicht beichtet und aufrichtige Reue zeigt, erwartet ihn die ewige Verdammnis.«
    »Die Hölle«, sagte sie. Sie schluckte und wischte sich mit der Hand die Tränen ab. »Ich werde erst wieder ruhig schlafen können, wenn ich ihn dorthin befördert habe. Wird er leiden in der Hölle?«
    »Die Kinder von Fatima hatten Anfang des letzten Jahrhunderts eine Vision von der Hölle, die ihnen die Gottesmutter zeigte.« Der Priester zitierte die Höllenvision, die er offenbar auswendig kannte: »›Sie trieben im Feuer dahin, emporgeworfen von den Flammen, die aus ihnen selbst hervorbrachen, ohne Schwere und Gleichgewicht, unter Schmerzens- und Verzweiflungsschreien, die mich vor Entsetzen erstarren ließen.‹«
    »Das ist gut«, sagte die Frau. »Etwas anderes hat er auch nicht verdient.«
    »So dürfen Sie nicht denken«, sagte der Priester. »Auch Zorn ist eine Sünde. Und die Hölle bedeutet ewige Qual. Kein Christ sollte sich wünschen, dass jemand dorthin kommt.«
    »Ich hoffe, dass man ihm dort die Haut abzieht, dass man ihn kastriert und in Stücke schneidet, dass man ihn foltert und quält bis ans Ende der Zeit!«, zischte sie und ballte die Fäuste. »Und es ist mir egal, ob ich dafür selbst in der Hölle schmoren
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