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Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)

Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)

Titel: Der falsche Auserwählte (Ein Artesian Roman) (German Edition)
Autoren: Peter Merten
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1. Der Golem
     
    Der Hahn krähte pünktlich zur dritten Morgenstunde so wie jede Nacht, seit sein Vater das Tier mit nach Hause gebracht hatte. Alep schreckte aus seinem Schlaf und spürte gleich den Ärger in sich aufsteigen. Der weckt wieder das ganze Haus auf, dachte er grimmig. Irgendwer sollte ihm den Hals umdrehen. Doch Alep irrte sich. Niemand aus seiner Familie fuhr aus dem Schlaf und belegte den Hahn wie üblich mit wilden Flüchen. Eine Anstrengung, der sich Großvater Elders mit Phantasie und Hingabe jede Nacht aufs Neue widmete. Er hatte es darin zu einer wahren Meisterschaft gebracht.
    Alep setzte sich auf und rieb sich den Schlaf aus den Augen. Ein Blick hinüber zum Bett seines Bruders zeigte ihm, dass Bak ungerührt weiterschlief.
    Die unheimliche Stille machte Alep nervös. Es schien fast, als hielte alles und jedes den Atem an. Ein seltsamer Geruch lag in der Luft, schwer und erdig, der durch die Ritzen der schweren Holzläden und das geöffnete Fenster ins Zimmer drang. Alep schlug die Bettdecken zurück und setzte sich auf. Ein leises Geräusch vor dem Fenster ließ ihn bewegungslos und mit angehaltenem Atem verharren. Ein wenig verunsichert schwang er die Beine aus dem Bett und stellte seine nackten Füße auf den kalten Boden. War da jemand vor dem Fenster? Es klang, als würde jemand einen, nein, mehrere spitze Gegenstände gleichzeitig über die Holzläden ziehen, ähnlich wie Tierkrallen. Plötzlich erklang eine gedämpfte Stimme von draußen, die seinen Namen rief: „Alep Dieron Elders.“ Dann war wieder das Kratzen am Fensterladen zu hören, gefolgt von der Stimme des Fremden: „Alep Dieron Elders.“
    „Not und Verderben“, fluchte Alep kaum hörbar. Wer war das? Leise, einen Fuß vor den anderen setzend, schlich Alep zum Fenster und spähte durch eine schmale Ritze in den verwitterten Holzläden. Es war zu dunkel, um etwas zu erkennen Vorsichtig tastete er nach dem Messer auf Baks Nachttisch. Seine Hände zitterten ein wenig, als er es nahm.
    „Alep Dieron Elders“, erklang es wiederholt von draußen. Tief und unangenehm war die Stimme.
    „Wer ruft?“, fragte Alep mit unsicherer Stimme.
    Die fremde Stimme antwortete:
     
    „Golem Knoll, so nennt man mich,
    Ich bin des Magiers Geist.
    Bin Wand’rer, Wächter, Wüterich,
    inzwischen weit gereist.
    Die Zaubermacht verliert an Kraft,
    was allerlei Probleme schafft.
    Die Welt es ist schon abzusehen,
    wird ohne Magie untergehn
     
    Mit großen Augen schaute Alep zum Fenster, als könnte er mit seinem Blick das Holz der Läden durchdringen. Seine Furcht war mit einem Schlag vergangen. Im Garten seiner Großmutter stand ein Golem und er sprach in Reimen.
    Alep erhob sich und öffnete das Fenster. Das Messer behielt er vorsorglich in der Hand. Er hatte Mühe, die schweren Läden gegen den heftig wehenden Wind aufzudrücken. Der Golem stand ganz ruhig und rührte sich nicht. Er unterschied sich kaum von dem erdigen Braun des Gemüsebeetes, in dem er stand. Er hatte schmale, weit über den Kopf aufragende, spitze Ohren. Die Nase war zwar dünn, aber sehr lang und stach aus dem Gesicht, wie ein Nagel aus der Rückseite eines Brettes. Die Augen glühten rötlich in der Dunkelheit. Der Mund war kaum zu erkennen. Klein war Golem Knoll. Obwohl er stand, erreichte seine Stirn gerade die Höhe des Fensterbrettes. Kleiner noch als ein Zwerg, dachte Alep, aber fast zweimal so breit. Es schien Alep, als ob der Golem auf etwas warten würde.
    „Guten Morgen“, grüßte Alep. „Was willst du von mir?“
    Der Golem hob den Kopf und erwiderte Aleps Blick. Dann sagte er, wobei sein erdfarbener Mund sich kaum bewegte.
     
    „Macht Euch bereit Herr Elders, schnell,
    die Nacht geht um, es wird bald hell.
    Ihr tragt die Hoffnung dieser Welt,
    als Retter seid ihr auserwählt.
    Ich bin der Golem namens Knoll,
    der Euch nach Hornburg bringen soll.“
     
    Dann verbeugte der Golem sich artig aber schwungvoll. Alep wollte noch eine Warnung rufen, aber es war zu spät. Es krachte, als Knoll heftig mit der Stirn ans Fensterbrett schlug. Dann fiel er um.
    Alep beugte sich nach draußen. Der Golem lag mit offenen Augen auf dem Rücken und zählte seine ganz persönlichen Sterne. So sieht also der Bote eines Magiers von Rang aus, dachte Alep.
    Er hatte schon vom berühmten und weithin bekannten Magier Pretorius aus Hornburg gehört, so wie viele andere im Flachen Land auch, aber er fragte sich, was den Meistermagier veranlasst hatte, seinen Golem herzuschicken.
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