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Filzengraben

Filzengraben

Titel: Filzengraben
Autoren: Petra Reategui
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meinem kleinen Finger. Man nennt mich das Joch!« Wie zum Beweis spreizte er
den kleinen Finger ab, kam zu dem Schluss, dass es der Geschichte am Odeur der
Wahrhaftigkeit gebrach und ließ die Schultern hängen.
    Sie bedachte ihn mit einem strafenden Blick, während ihre Lippen
zuckten vor verhaltener Heiterkeit.
    Â»Schon gut.« Er warf ein Steinchen ins Wasser. »Ich versuche
einfach, am Leben zu bleiben. Das ist alles. Ich finde das Leben schön, was
nicht immer leicht ist. Und ich denke, der da oben wird das irgendwie
verstehen. Es sind ja nicht die Äpfel aus dem Paradies, die ich mitgehen
lasse.«
    Â»Aber es sind Gottes Äpfel.«
    Â»Schon möglich. Aber mein Hunger ist nicht Gottes Hunger.«
    Â»Was Ihr alles so daherredet! Helft mir lieber mit dem Tuch.«
    Gemeinsam nahmen sie das vom Wasser schwere Leinen hoch und trugen
es zu einem aus Holzstecken errichteten Gerüst vor dem Haus, in dem sie
offenbar wohnte. Weitere Stoffe trockneten dort bereits in der Sonne. Es roch
nach Wald, dem Farbstoff aus dem Jülicher Land, dank dessen die Blaufärber
überhaupt blau färben konnten.
    Â»Wie heißt Ihr eigentlich, da ich Euch nun schon mal das Leben
gerettet habe?«, fragte sie, während sie den Stoff auf dem Gitter glatt zog und
Acht gab, dass die Ränder nicht den Boden streiften.
    Jacop fletschte die Zähne.
    Â»Ich bin der Fuchs!«
    Â»Man sieht’s«, gab sie trocken zurück. »Habt Ihr auch einen Namen?«
    Â»Jacop. Und Ihr?«
    Â»Richmodis.«
    Â»Was für ein schöner Name.«
    Â»Was für ein einfallsloses Kompliment.«
    Jacop musste lachen. »Lebt Ihr hier ganz alleine?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ihr seid heute schon der Zweite, der
mir die Frage stellt. Was muss ich eigentlich noch alles für Geschichten
erfinden, damit ihr Strolche mich endlich zufrieden lasst?«
    Â»Also wohnt Ihr mit Eurem Gatten hier?«
    Sie verdrehte die Augen. »Ihr lasst nicht locker, was? Ich lebe bei
meinem Vater. Eigentlich ist er der Färber, aber der Rücken macht ihm immer
mehr zu schaffen, und seine Finger sind krumm vom Rheuma.«
    Rheuma war die typische Färberkrankheit. Der ständige Umgang mit
Wasser, egal zu welcher Jahreszeit, war daran schuld. Im Allgemeinen lebte man
als Blaufärber nicht schlecht, weil aus den Stoffen Arbeitskittel geschnitten
wurden, und über Mangel an Arbeit konnte sich im Reich keiner beklagen. Der
Tribut war eine ruinierte Gesundheit. Aber was spielte das für eine Rolle, wo
letzten Endes jedes Handwerk die Gesundheit ruinierte, jedes auf seine eigene
Weise, und die reichen Kaufleute, die ihr Geld mehr mit dem Kopf verdienten,
fast ausnahmslos von der Gicht geplagt wurden? Erst kürzlich, hieß es, hatte
zwar der Leibarzt König Ludwigs des IX. von Frankreich in Royaumont öffentlich
konstatiert, die Gicht erwachse dem übermäßigen Genuss von Schweinefleisch,
aber die Medici vom heiligen Stuhl hatten dem entgegengehalten, wer reich sei,
habe mehr Gelegenheit zur Sünde und dementsprechend mehr zu büßen. Was als
Beweis dienen möge für die Gicht als einen Akt von Gottes Gnaden, der
Selbstzucht und Kasteiung dienend, womit verbunden der Herr in seiner
unendlichen Güte immerhin den Aderlass erfunden und so ein Licht entfacht habe im
hohlen Schädel der Medizin. Darüber hinaus sei nicht einzusehen, was dieses
Forschen nach Ursachen überhaupt bezwecke – als diene Gottes Wille konzilischen
Disputen oder gar der niederen Vermessenheit aufrührerischer Ketzer und
Häretiker!
    Â»Tut mir Leid für Euren Vater«, sagte Jacop.
    Â»Wir haben einen Physikus in der Familie.« Richmodis betrachtete
prüfend das Tuch und zupfte eine Falte heraus. »Da ist er gerade und verschafft
sich Linderung. Ich vermute aber sehr stark, dass es Linderung von jener Sorte
ist, die man Rebsorte nennt und zu der mein Onkel eine überaus innige Beziehung
pflegt.«
    Â»Dann preist Euren Vater glücklich, dass er wenigstens den Becher
halten kann.«
    Â»Das kann er offenbar am besten. Und seine Kehle hat das Rheuma auch
noch nicht betroffen.«
    Damit schien die Unterhaltung einen toten Punkt erreicht zu haben.
Beide warteten, dass der andere etwas Kluges sagte, aber eine Zeit lang hörte
man auf der Bach nur das Bellen eines Hundes.
    Â»Darf ich Euch etwas fragen?«, begann Jacop schließlich.
    Â»Ihr
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