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Feuersteins Drittes

Feuersteins Drittes

Titel: Feuersteins Drittes
Autoren: Herbert Feuerstein
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Natürlich wollen alle um acht, der frühestmöglichen Geselligkeitszeit für Reiche und Schöne... Wie soll man es sonst auch schaffen nach dem Kuchenbuffet um drei und dem Fünf-Uhr-Tanztee, und zurechtmachen will man sich ja auch noch in Ruhe. Also ist der frühe Serviergang eine Art Sozialstation für die Verlierer, die sich zu spät angemeldet haben, für die Früh-zu-Bett-Geher und wirklich Alten, für die Rentner unter den Rentnern, die bereit sind, die fünf Gänge in siebzig Minuten runterzuschlingen, denn man will ja rechtzeitig weg sein, um nicht von den Acht-Uhr-Speisern gesehen zu werden und damit das Gesicht zu verlieren. Und die Tische neu dekorieren muss man schließlich auch noch.
    Ich schlinge sechs Gänge in zwanzig Minuten runter und würde sogar schon um fünf Uhr antreten, wenn ich nur sicher sein dürfte, damit meiner schlimmsten Höllenvision zu entgehen: Smalltalk über Themen, die mich nicht interessieren, mit Leuten, die mich langweilen. Aber das Problem stellt sich hier gar nicht, denn unser Speisesaal bietet Platz für 700 Gäste, da könnte sogar die polnische Band mitessen, wenn sie denn dürfte (darf sie aber nicht: Musiker gehören zur Besatzung. Mozart musste beim Salzburger Erzbischof auch in der Küche essen, als Angestellter des Haushofmeisters). Nur ein einziger Serviergang also zur High-Society-Time, und mit der Platzwahl hatten wir ebenfalls Glück: keine Tafelrunde zu sechst, keine Massenkumpanei zu acht, sondern ein diskreter Vierertisch gemeinsam mit einem reiferen Ehepaar aus dem Münchner Umland, den Dorschs, gehobenen Beamten im Ruhestand, und Letzteren mit dieser ihrer ersten Kreuzfahrt umsichtig genießend (»Man gönnt sich ja sonst nichts«).
    Da meine Frau eine versierte Dolmetscherin zwischen meinen oft recht abstrusen Gesprächsvorschlägen 3 und der korrekten Dinnerkonversation unter niveauvollen, normalen Menschen 4 ist, kamen wir bestens zurecht. Nur die überlaute Stimme von Frau Dorsch störte zuweilen ein bisschen, weil sie immer in voller Lautstärke alle Geschehnisse auf der Bühne beschrieb, die man ohnehin sah. »JETZT TANZEN SIE«, schrie sie ihren Mann an, wahrscheinlich aus der Erfahrung von vierzig Ehejahren, wonach Männer von sich aus nichts wahrnehmen. »JETZT WAR SIE FAST HINGEFALLEN!«, schrie sie deshalb weiter. »JETZT HEBT ER SIE HOCH!« — »JETZT KOMMT SCHON WIEDER WAS ANDERES!«
    »JETZT REICHT’S!«, hätte ich selber gern geschrien, und ich hätte es bestimmt getan, wenn ich allein gewesen wäre, verbunden mit einem kumpeligen »Ist ja nicht so gemeint«-Lachen, um die Ungezogenheit in die Hülle eines Scherzes zu kleiden. Aber wenn meine Frau dabei ist, darf ich so was nicht.
    »Seetag« nennt man es auf der Kreuzfahrt, wenn man den ganzen Tag unterwegs ist, ohne einen Hafen anzulaufen. Sieben Seetage insgesamt haben wir auf dieser Reise, zwei sind es von Edinburgh nach Island. Der gestrige führte durch eine spektakuläre Landschaft, die etwa zehn Kilometer breite Passage zwischen Nordschottland und den Orkney-Inseln. Stolz hatte der Kapitän verkündet, dass wir hier mit der Rekordgeschwintligkeit von 23 Knoten zwischen den Inseln Swona und Stroma durchjagen würden, also mit etwa 40 Stundenkilometern, dank der enormen Strömung. Und tatsächlich flogen die Landschaften zwischen Wolkenfetzen vorbei, baumlos und grün, karge Steinhäuser, Schafe, immer wieder Leuchttürme. Das alles bei Windstärke 4 und kein bisschen seekrank. Ob ich doch noch zum Seebären werde?
    Ab Windstärke 4 gibt es übrigens einen interessanten Effekt: Das Wasser aus der Dusche wechselt dann ganz abrupt von kochendheiß in Arktis-kalt. Angeblich, weil die beiden Container an verschiedenen Stellen untergebracht sind und deshalb je nach Schaukelbewegung das kalte und heiße Wasser abwechselnd ins System schicken. Das ist recht unangenehm, weil die Duschkabine zu klein ist, um dem Wasserstrahl auszuweichen, wenn man mal drunter steht. Man kann nur rausspringen. Wenn man also morgens aus den Nachbarkabinen schrille Schreie und lautes Poltern hört, weiß man: aha, Windstärke 4. Falls man nicht selbst schon vorher aus dem Bett gefallen ist.
    Vom Unterhaltungsprogramm an Bord haben wir bisher fast nichts mitbekommen. Das Konzert der Geigenvirtuosin war meiner Seekrankheit zum Opfer gefallen, der Zauberer (»Die miesen Tricks der Taschentliebe — für Sie entlarvt«) war auch nicht so ganz unser Ding, und mit den Gentlemen Hosts zu den Klängen der polnischen Band
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