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Feuersteins Drittes

Feuersteins Drittes

Titel: Feuersteins Drittes
Autoren: Herbert Feuerstein
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jährlich von den Schiffsköchen verarbeitet, 23 000 ganze Hähnchen und 385 000 Eier, mit Hilfe von 44 000 Litern Kochöl. Ich liebe solche Statistiken und rechne auch immer gleich nach: Bei durchschnittlich 600 Passagieren pro Nase also knapp 2 Eier am Tag, 140 Gramm Rindfleisch und ein Zehntel vom Huhn. Hm, klingt zwar mehr nach Mensa als nach Drei-Sterne-Schlemmerei, könnte aber hinkommen. Beim Kochöl hingegen stutze ich: An einer Stelle steht nämlich: 1000 Liter pro Woche, an einer anderen aber 44 000 Liter pro Jahr. Müssten das nicht 52 000 Liter sein? Oder hat ein Schiffsjahr acht Wochen weniger als ein Landjahr?
    Bei den Bananen erhärtet sich mein Verdacht, dass da was nicht stimmt, und jetzt packt mich das Jagdfieber wie den Steuerfahnder, der beim Aktenstudium auf die erste Spur einer Riesensauerei stößt: 950 Kilo Bananen als Wochenbedarf, aber 42 500 Kilo als Jahresverbrauch. Da fehlen doch glatt 8000 Kilo Bananen, Leute! Wo sind die hingekommen? Ist da ein Planer aus der Ex-DDR am Werk? Und als ich dann lese »67 000 Rollen Toilettenpapier«, weiß ich: Jawohl, das ist ein Fall für den Staatsanwalt.
    Nach fast zehnjährigem Zusammenleben gibt es eigentlich keine Fragen mehr, mit denen ich meine Frau erschrecken könnte. Dennoch blickt sie verwundert auf, als ich von ihr wissen will: »Wie viel Klopapier verbrauchst du pro Tag?« — »Warst du im Schiffskasino, und sind wir jetzt verarmt?«, stellt sie die Gegenfrage. — »Nein, es geht nur um die Statistik.« — »Etwa eine Rolle pro Woche.«
    Habe ich mir’s doch gedacht. Da wir zu Hause in getrennten Badezimmern sitzen, weiß ich nämlich, dass meine Frau doppelt so viel Toilettenpapier verbraucht wie ich, macht also zwei Rollen alle zehn Tage für uns beide oder knapp 40 Rollen für jeden Einzelnen im ganzen Jahr. Bei 600 Passagieren sind das 24 000 Rollen. Aber 67 000 Rollen werden verbraucht! Ob da in riesigen Mengen Klopapier geschmuggelt wird? Unter dem Deckmantel einer Kreuzfahrt?
    572 Passagiere sind an Bord, also nicht ganz ausverkauft diesmal, 90 würden noch reinpassen. 178 davon sind Amerikaner, 138 Briten, 144 Deutsche, dazu ein paar aus Österreich und der Schweiz, der Rest Kanadier, Italiener, Franzosen, Spanier und so weiter, drei Japaner sind dabei, aber kein einziger Russe, obwohl die neuerdings überall anzutreffen sind. Aber logisch: Wer Sibirien hat, braucht nicht ins Eismeer.
    Eine beachtliche Truppe ist aufgeboten, um die Passagiere bei Laune zu halten: ein Showensemble aus acht Sängern und Tänzern, eine Geigenvirtuosin, ein klassischer Pianist, ein Musical-Star, ein Meister auf der Gitarre, ein Zauberkünstler, ein Barmusiker, ein Salontrio für den täglichen Tanztee und die fünfköpfige Bordkapelle aus Polen für Dinner und Deck. Ferner der Kreuzfahrtdirektor als Moderator, sein Assistent, ein ehemaliger Clown, und vier elegante Herrn meines Alters, die den allein reisenden Damen vor und nach dem Essen als Tanzpartner zur Verfügung stehen, die so genannten Gentlemen Hosts. Dazu ein Kunstauktionator und ein Schmuckberater sowie — in Würdigung des besonderen Bildungsanspruchs der deutschsprachigen Gäste * , die ja nur genießen können, wenn sie dabei was lernen dürfen — zwei Lecturers, »Dozenten« gewissermaßen, ein Wissenschaftler und ein Literat. Der Letztere ich.
    Heute Vormittag war mein Kollege dran, Dr. Gradinger aus Kiel, ein junger Biologe mit dem Fachgebiet Polarökologie. Er hielt einen Diavortrag über eine Forschungsreise auf einem Eisbrecher im Polarmeer, so lebensecht, dass ich fast schon wieder seekrank davon wurde... acht Monate in einer Vier-Mann-Kabine bei Windstärke 9, warum machen Menschen so was? Der Kinosaal, der 250 Zuschauer fasst, war so gut wie »ausverkauft«, ganz schön beachtlich bei höchstens 200 Deutschsprachigen an Bord.
    Morgen bin ich zum ersten Mal dran. Aber erst nach dem Abendessen, noch dazu nach einem Tagesausflug auf Island. Ob es bei mir auch so voll werden wird? Mit Sicherheit nicht. Meine Frau ist auch keine Hilfe, weil sie eben fragte, ob sie »unbedingt mitkommen« müsse. Wahrscheinlich werde ich ein Selbstgespräch führen...

    LOGBUCH 8. JULI
    NW-Kurs auf Island
    12°, Nieselregen; Barometer 1007, Windstärke 2
    Sonnenaufgang 3:44, Sonnenuntergang 23:15

    Berüchtigt und ein Riesenproblem, habe ich mir sagen lassen, ist auf großen Schiffen die Frage, wann man essen möchte: zum ersten Serviergang, meist um halb sieben schon, oder zum zweiten um acht.
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