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Feuersteins Drittes

Feuersteins Drittes

Titel: Feuersteins Drittes
Autoren: Herbert Feuerstein
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zu tanzen, hatten bisher weder meine Frau noch ich das dringende Bedürfnis. Auch vorgestern, als der australische Musical-Star dran war, kniffen wir und gingen lieber ins Bordkino: Cider House Rules, die Verfilmung des Bestsellers von John Irving, leider getrübt durch meine liebe Frau, die das Buch (mit dem grauenhaften deutschen Titel Gottes Werk und Teufels Beitrag) gelesen hatte und mir deshalb ständig zuflüsterte, was als Nächstes passiert. »JETZT REICHT’S!«, hätte ich auch hier gern geschrien, aber auch im Kino darf ich nicht laut sein, wenn sie daneben sitzt.
    Auch tagsüber gäbe es ungeheuer viel zu tun, wenn man nur wollte, von der Morgengymnastik mit der Fitnesstrainerin vor dem Frühstück bis zur Spieleshow »Erkennen Sie die Melodie« kurz vor Mitternacht. Dazwischen Computerkurse, Kosmetiktipps, Bridge für Anfänger und Fortgeschrittene, Shuffleboard auf dem Brückendeck, Golfunterricht mit Einloch-Training, Sitz-, Dehn- und Entspannungsübungen, Bingo am Nachmittag, Spielkasino rund um die Uhr, Kunstauktionen, »Sticken mit Melanie« abwechselnd mit »Halstuchbinden mit Melanie«... Mit anderen Worten: alles Schreckliche dieser Welt, dem ich bisher im Leben erfolgreich aus dem Weg ging und auch künftig zu tun beabsichtige.
    Mein Kollege Dr. Gradinger war heute früh schon zum zweiten Mal dran, mit einem Diavortrag über die polare Tierwelt. Darin schimpfte er wie ein Rohrspatz über Greenpeace, was mich wunderte, weil ich immer dachte, Öko-Krieger und Wissenschaftler zögen gemeinsam an einem Strang. Aber warum sollten sie, wo sich doch nicht mal zwei Schönheitschirurgen darüber einig sind, welche Füllung sie in Busen stopfen.
    Jetzt muss ich aufhören und aus der Kabine raus, weil meine Frau den ganzen Platz braucht, um ihre Abendkleider auszulegen. Denn heute ist wieder »formell« angesagt. Ob ich wieder seekrank werde?

    LOGBUCH 9. JULI
    R eykjavik, Island
    18°, meist heiter, Barometer 1011 (steigend)
    Sonnenaufgang 3:43, Sonnenuntergang 0:07

    Seit meiner letzten Eintragung habe ich zwei Wunder erlebt: den grünen Blitz zum Sonnenuntergang und Strockur, den pünktlichen Geysir.
    Eben haben wir unter den Klängen unserer polnischen Band abgelegt und schippern mit majestätischer Vorsicht aus dem Fischereihafen von Reykjavik heraus. Schade, dass wir nicht im romantischen »Alten Hafen« festmachen durften, aber der war gerade in einem recht unromantischen Zustand: Besuch eines NATO-Flottenverbandes, ein Dutzend Kriegsschiffe in voller Montur. Dafür wirken wir hier, zwischen den Fischkuttern, wie ein Gigant. Leider schenken uns die Fischer nicht die geringste Beachtung. Wahrscheinlich neidisch, die Wikinger.
    Um acht Uhr früh waren wir hier angekommen, aber seit sechs sind wir schon auf den Beinen, denn gleich nach dem Festmachen begann unser siebenstüntliger Landausflug mit Führung, »Golden Circle« genannt, für 125 Dollar pro Person. Vier Exkursionen hatten zur Wahl gestanden: Stadtrundfahrt Reykjavik (46 Dollar), Baden im heißen Quellwasser der Blauen Lagune (53 Dollar, »Handtuch und Shampoo mitnehmen!«), Neunzig-Minuten-Rundflug über Gletscher und Vulkane (219 Dollar — leider im Kleinflugzeug, so was ist aber nur im Hubschrauber spannend) und schließlich die von uns gebuchte Rundfahrt, die zu Islands berühmten Geysiren und dem gewaltigen Gullfoss-Wasserfall führen würde, dessen Ansicht wir zu Hause auf dem PC als Bildschirmschoner haben. Da gab es für uns keinen Zweifel: Die musste es sein. Und sie war grauenhaft.
    Dazu muss ich allerdings bemerken, dass ich daran nicht unschuldig bin. Unter den vielen Idiosynkrasien, die mir zu Eigen sind, steht die Abneigung alles Gemeinsamen eindeutig an der Spitze. Rudelverhalten schätze ich nur bei Hunden, und den wenigen Geselligkeiten, zu denen ich überhaupt noch eingeladen werde, entfliehe ich immer als Erster oder überstehe sie, wenn es nicht anders geht, verbarrikadiert in der Besenkammer. Horror vom Horror sind deshalb für mich Gruppenreisen, auch in der Kleinstform eines Busausfluges — aber hier hatte ich keine Wahl. Wie sollte ich sonst unseren Bildschirmschoner in Echt erleben?
    Wir füllten drei große, komfortable Busse, dann ging es los. Die isläntlische Reiseleiterin begrüßte uns herzhaft auf Wikingerart — und sagte dann nichts mehr, was Isländer durchaus sympathisch macht, außer, sie sind Reiseleiter. Nach einer Stunde Fahrt hielten wir an. An einem Ramschladen.
    Hier spaltete sich unsere Gruppe in
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