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Feuersteins Drittes

Feuersteins Drittes

Titel: Feuersteins Drittes
Autoren: Herbert Feuerstein
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Augenblick brach die Musik abrupt ab, wie beim Tango oft üblich, und Frau Dorsch schrie den Rest ihres Satzes in die jähe Stille hinein: »... EIN EROTISCHER TANZ!«
    Der halbe Saal drehte sich nach uns um, in der Annahme, dass auch Frau Dorsch ein Teil der Show wäre und gleich aufspringen würde, um mit ihrem Mann die Beine zu verhaken. Ich lächelte nachsichtig meine Frau an, stolz, dass es ausnahmsweise nicht ich war, der unangenehm auffiel.
    Dann war es elf, wir verabschiedeten uns von den Dorschs und danach auch von Abendkleid und Smoking, und machten, dick vermummt, einen Spaziergang auf dem Promenadendeck, in die untergehende Sonne hinein. Der Himmel war glasklar, und ein Mann aus Hamburg, der uns entgegenkam, fragte uns, ob wir schon mal den green flash gesehen hätten, den grünen Blitz. Nein, weder gesehen noch je davon gehört, musste ich gestehen, und ich war verlegen, weil ich ja sonst alles weiß. Es sei ein Phänomen der Lichtbrechung, erklärte er uns: Bruchteile einer Sekunde, nachdem der letzte Sonnenstrahl erloschen ist, erscheint genau dort ein grüner Blitz, mit einer Art Wölkchen rundherum, wie eine kleine Explosion. Aber das würde man nur an klaren, kalten Tagen sehen, bei reiner Luft und ebenem Horizont, vorzugsweise auf dem Meer. Sprach’s und ging weiter.
    Aha, einer von jener Sorte, die einem den Spaß vermiesen, indem sie Dinge erzählen, die man ja doch nie erlebt, dachten wir, und schauten, wie die Sonne langsam ins Meer tauchte. Und plötzlich sahen wir einen grünen Blitz. Wir sahen ihn beide, und es gibt ihn wirklich. Zusammen mit der Sonnenfinsternis des Jahres 1999 haben wir ihn in unser Gedächtnis eingetragen, als Ereignis, das einem wohl nur einmal im Leben begegnet.

    LOGBUCH 10. JULI
    Seetag, Kurs NO
    7°, windstill, leicht bewölkt; Barometer 1012
    Sonnenaufgang 2:53, kein Sonnenuntergang

    Heute berichte ich über zwei Premieren und eine Peinlichkeit: meine erste Lesung, die ersten Wale dieser Reise sowie die Polartaufe.
    Falls Sie mit mir gefiebert hatten: Alles ist gut, der Saal war voll. Besser gesagt, die Garden Lounge, denn meine Lesung fand nicht im Kinosaal statt, sondern im freundlichen, pastellfarbenen Teesalon, wo etwa hundert Leute Platz finden — was übrigens nicht reichte: Es mussten sogar noch ein paar zusätzliche Stühle reingetragen werden. Also mehr als die Hälfte der deutschsprachigen Passagiere, trotz der Tagesausflüge auf Island und des schweren Abendessens (skantlinavisch). Und als ich um 22 Uhr immer noch nicht fertig war, obwohl man mir das mehrfach eingeschärft hatte, schlichen nur ganz wenige zur Tür hinaus, zu den »populären Melodien auf der Gitarre« im Ballsaal. Große Erleichterung für mich, denn man will ja trotz aller Stacheln geliebt und gebraucht werden.

    Heute Morgen, gegen drei Uhr, hatten wir in der Westpassage zwischen Island und Grönland den Polarkreis überquert, 66 Grad 33 Minuten nördlicher Breite, und wie Grenzwächter warteten dort die Wale auf uns. Selbst ich, der sonst nie was erkennt, wenn aufgeregte Menschen auf einen Flecken im Wasser zeigen und brüllen »SEHEN SIE DAS?«, sah die mächtigen Blasfontänen der Walherde.
    »Polarkreis« klingt unheimlich nördlich, ist aber erst die Schwelle zur Mitternachtssonne, die sich hier nur für einen einzigen Tag des Jahres volle 24 Stunden über dem Horizont hält. Am Pol geht sie dann fast ein halbes Jahr nicht mehr unter, aber bis dahin sind es noch mehr als 2500 Kilometer, während Hamburg gerade mal 1300 Kilometer südlich des Polarkreises liegt. Trotzdem hat seine unsichtbare Grenzlinie was Magisches, ähnlich wie der Äquator. Und so, wie es eine Äquatortaufe gibt, gibt es deshalb eine Polartaufe.
    Unter den rauen Kerlen auf Forschungs- oder Kriegsschiffen muss diese Zeremonie ziemlich grausam sein, hatte uns Dr. Gradinger geschildert, eine Mischung von Spießrutenlauf und Mannbarkeitsritus, vom Eintauchen in Eiswasser bis zum Verschlucken eines lebenden Fisches. Nicht weniger grausam ging es bei uns zu, freilich mehr von der peinlichen Seite her betrachtet.
    Wer mitmachen wollte, hatte sich schon gestern anmelden müssen. Viele waren es nicht, aber doch fast ein Dutzend Tapfere in Badekleidung, mit Decken umwickelt, die nach dem Mittagessen am beheizten Außenpool bereitstanden. Normalerweise ist das die Zeit für mein Mittagsschläfchen, aber ein Rohrbruch in der Kabine gegenüber hatte eine kleine Überschwemmung im Gang verursacht, und um den Schaden zu
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