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Feuersteins Drittes

Feuersteins Drittes

Titel: Feuersteins Drittes
Autoren: Herbert Feuerstein
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zwei Parteien auf: in die primitiven, niveaulosen Nichteuropäer, die sofort ausschwärmten und für die nächste halbe Stunde hinter Regalen mit Anoraks und echten Island-Pullovern verschwunden blieben, und in uns Sinn suchende, kulturell überlegene Vertreter der Alten Welt, die heftig dagegen protestierten, dass wir statt der Naturwunder des Landes einen Ramschladen angesteuert hatten. Die Begründung der Reiseleiterin war ebenso einleuchtend wie entwaffnend: Passagiere auf Kreuzfahrt seien nun mal hauptsächlich älteren Kalibers, und alte Menschen müssen dauernd aufs Klo, das weiß man von Oma. Aber nur hier, auf der Mitte der Strecke, gäbe es Toiletten. Dass man auf dem Weg dahin ein paar Ramschläden durchqueren müsse, sei reiner Zufall.
    Irgendwie kam mir das Märchen vom Gold scheißenden Esel in den Sinn. Für den Ramschladen-Betreiber ist es wohl in Erfüllung gegangen, jeden Tag ein paar Busladungen Esel...

    Der Gullfoss-Wasserfall ist noch mächtiger, noch breiter, noch dramatischer als auf dem Bildschirm. Aber leider nicht so menschenleer. Man muss Schlange stehen, bis man zum Aussichtspunkt vorrücken kann, und dann drängen schon die Nächsten nach. Trotzdem: Man MUSS ihn gesehen haben. Und wir HABEN ihn gesehen. Mindestens fünf Minuten lang. Und wieder ein Weltwunder abgehakt.
    Mehr Platz und mehr Zeit bietet der Stokkur-Geysir, denn er enthält nicht nur die weltbekannte große, sondern auch mehrere kleine Fontänen, die zur Schonung der Touristen genau innerhalb ihrer Umgrenzungen aus der Erde schießen und niemanden nass spritzen, der das nicht ausdrücklich will, pünktlich noch dazu, sodass jeder zu seinem Foto kommt. Auch wir knipsen heftig, und sogar Dr. Gradinger, mein Wissenschaftskollege, hat eine Kamera vor der Nase, doch ist er nicht an den kochenden Springbrunnen interessiert, sondern kriecht mit seiner Frau auf dem Boden herum, in ständiger Suche nach mikrobiologisehen Sensationen. Ich beneide ihn: Wie gern hätte auch ich eine kleine Welt für mich, in der ich mich einigermaßen auskenne, und nicht diese große, in der ich längst verloren gegangen bin...
    Wer gut bei Fuß war, fand anschließend noch Gelegenheit zu einem flotten Rundgang im Thingvellir-Nationalpark, wo sich über 800 Jahre lang das isläntlische Althing versammelt hatte, das erste europäische Parlament mit Regeln und Streitkultur, aber bitte jetzt keine Fragen oder gar Stehenbleiben in dieser magischen Landschaft, sonst würde der andere Teil unserer Ausflugsgruppe, der das kleine Stück Weges lieber mit dem Bus gefahren war, zu lange auf uns warten müssen. Also wurden wir im Eilschritt zum Mittagessen getrieben, das ebenso lang wie langweilig war, in einem Großgasthof mit vielen winzigen Kammern, mit hektisch suchenden Reiseleitern, die die allergrößte Mühe hatten, die richtigen Esel der richtigen Gruppe zuzuordnen. Und auf der Rückfahrt gab es natürlich wieder einen Toiletten-Stopp. Ganz zufällig mit einem Ramschladen dabei. Fazit: vier Stunden Fahrt, eine Stunde Lunch, zweimal eine halbe Stunde Klopause und eine Stunde Island. Die europäische Kulturgemeinde schwört im Bus feierlich, nie wieder einen Gruppenausflug mitzumachen, doch ahne ich schon, dass wir diesen Eid nicht halten werden.
    Aber im Augenblick habe ich andere Sorgen. Denn nach dem Abendessen (»informell«) bin ich heute mit meiner ersten Lesung dran. Gewöhnlich habe ich kein Problem mit Lampenfieber, aber jetzt muss ich zugeben: Ich bin nervös. Was ist, wenn niemand kommt? Nach dem Landgang und seinen erschöpfenden Ausflügen wäre das gar nicht so unwahrscheinlich...

    Heute Nacht gibt es den letzten Sonnenuntergang. Danach sind wir für fünf Tage im Reich der Mitternachtssonne. Und der vorletzte, gestern, hatte uns ein grantlioses, überaus seltenes Schauspiel beschert, von dem ich bisher nicht mal gewusst hatte, dass es so was gibt.
    Wir hatten uns nach dem Abendessen Bonsoir Paris gegönnt, die große Show der Revuetruppe, sehr bunt und sehr laut, aber nicht laut genug für Frau Dorsch, die wie ein Radioreporter beschrieb, was sie sah. »JETZT TANZEN SIE TANGO!«, schrie sie. »JETZT TUN SIE SICH MIT DEN BEINEN VERHAKEN!« Und als ihr Mann tatsächlich einen neugierigen Blick in Richtung Bühne warf, um zu prüfen, was sie wohl damit meinte, schob sie eine Erklärung nach: »DER TANGO IST...«, schrie sie, und das war auch angebracht, denn unsere wundervolle polnische Band war gerade ebenfalls sehr laut. Doch in diesem
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