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Feuersteins Drittes

Feuersteins Drittes

Titel: Feuersteins Drittes
Autoren: Herbert Feuerstein
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angesagt: »formell«, die große Gala. »Der Kapitän erwartet alle Gäste zur Begrüßung auf der Steuerbordseite des Ballsaals«, hieß es in der Einladung. Und damit kommen wir zur wichtigsten Frage der Seefahrt überhaupt: Wo liegt Steuerbord? Rechts oder links?
    Logik hilft hier kein bisschen, denn gesteuert wird vorn auf der Brücke, und backbord, das Gegenstück auf der anderen Seite, kommt von »back« und bedeutet hinten. Sogar Admiräle haben deshalb auch heute noch ein kleines S auf dem Rücken ihrer rechten Hand eintätowiert. Und B auf der linken, als Hilfe, falls es mal schnell um die Kurve gehen muss, wenn der Eisberg kommt. Vorausgesetzt natürlich, sie kennen den Unterschied und schreien nicht »Links!« wie meine Frau, wenn ich rechts abbiegen soll.
    Auch ohne Tätowierung stand der Kapitän auf der richtigen Seite, davor eine lange Schlange, denn jeder der Passagiere hat das Anrecht auf ein ausführliches Schwätzchen mit dem Chef. Natürlich auch ich. Ich habe es in seiner ganzen Länge protokolliert.

    FEUERSTEIN: Hallo, Käpt’n. Ich bin einer der beiden deutschen Lecturers. Und das ist meine Frau.
    KAPITÄN: Freut mich.
    FEUERSTEIN: Und sonst?
    KAPITÄN: Bestens.

    Dann waren die Nächsten dran. Beschwingt durcheilten wir den Saal zu unserem Tisch. Es hat schon was, mit einem Herrscher über die sieben Weltmeere so locker plaudern zu dürfen. Beim Bundespräsidenten ist man ja auch nicht täglich zu Gast.
    Zwar herrschte nur Windstärke 3 bis 4, aber in der Nordsee mit ihren kurzen Wellen ist das schon eine Menge, zumal wir aus Unkenntnis eine Kabine viel zu weit vorn gewählt hatten, entsprechend schaukelfreudig, mit klatschenden Spritzern am Fenster bei jedem Eintauchen vom Wellenberg ins Wellental. Vielleicht hatte ich auch beim Defilee vor dem Kapitän meinen Bauch zu lange eingezogen, da ich eindeutig zu jenen Leuten gehöre, die nicht einsehen wollen, dass ein Bauch über die Jahre wächst, ein Smoking hingegen in seiner Kapazität unverändert bleibt. (Ich habe inzwischen einen neuen, in Bangkok maßgeschneidert, mit Bauchreserve.)
    Als der Nachtisch angedroht wurde, wusste ich, dass ich gleich kotzen würde. Im Smoking tut man so was nicht. Ich habe schon viele Betrunkene und Seekranke kotzen sehen, auch Pferde, aber nie taten sie das in Abendgarderobe. Also zeigte ich jene Contenance, die man als Salonlöwe von Rang zu wahren hat, stand würdevoll auf und verbeugte mich verabschiedend vor Gattin und Tischnachbarn. Dann schritt ich milde lächelnd durch die Reihen der eleganten Mitesser, grüßte mit jovialem Nicken meinen Kapitän und winkte an der Tür in standesüberbrückender Kameraderie auch noch Brigitte zu, der österreichischen Weinkellnerin. Hechelnd und würgend rannte ich danach durch die leeren Gänge und schaffte es tatsächlich gerade noch bis in die Kabine.
    Ach so, und da war auch noch Edinburgh. Ich liebe diese Mischung aus schottischer Rauflust und englischer Arroganz, so streng und düster, aber gleichzeitig geil und lieblich. Viel Geheimnisvolles und Abgrüntliges spüre ich an diesem Ort. Wäre ich Engländer, hätte ich meinen Wohnsitz unbedingt hier. Edinburgh gehört zu den Städten wie Wien oder Bombay, in die es mich immer wieder zieht, auch wenn es mich gleichzeitig mächtig schaudert.
    Sechs Stunden lang wanderten wir durch diese wunderbare Stadt und, wie so oft, quälte ich meine Frau mit der Besichtigung früherer Drehorte (»Hier ließ ich mir einen Kilt anfertigen...«, »Dort hatte ich Krach mit Wolpers...« etc.), obwohl sie schon alles darüber in meinem letzten Buch gelesen hatte. 2 Und jetzt sind wir wieder an Bord und warten auf das Abendessen. Heute »informell«.

    LOGBUCH 7. JULI
    Nordatlantik Kurs NW
    12°, neblig mit Nieselregen; Barometer 1019
    Sonnenaufgang 4:15, Sonnenuntergang 22:47

    Es tut mir Leid, und ich bitte Sie deshalb ganz aufrichtig um Entschuldigung, dass ich Sie mit den ekligen Einzelheiten meiner Seekrankheit belästigt habe. Aber in ein Logbuch gehört nun mal auch die Beschreibung der eigenen Befindlichkeit, das wissen wir schon von Kolumbus. Und es kann ja passieren, dass man doch mal an der Seekrankheit stirbt, und dann ist das recht unangenehm für den Leser, wenn er vorher kein Wörtchen darüber erfahren hat und der Autor plötzlich tot ist. Thomas Mann hat in seinem Tagebuch sogar die Blähungen notiert. Mache ich nicht. Obwohl man daran sterben kann.
    Vor mir liegt die Statistik. 30 000 Kilo Rindfleisch werden
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