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Clara

Clara

Titel: Clara
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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    »Was hab ich bloß getan, daß Gott mich so straft?«
    Grimmig trat er in die Pedale. Keiner, wirklich keiner, hatte so bescheuerte Eltern wie er. Ließen sich scheiden, nur um zwei Jahre später wieder zusammenzuziehen. Nicht als Paar wohlgemerkt, nein, Papas Freundin war ebenfalls mit von der Partie, und womöglich würde Mamas Fuzzi demnächst auch noch einziehen. Total Banane! Es war nicht nur peinlich, es war … nein, ein einziges Wort reichte da nicht.
    Den anderen hatte er nichts erzählt. Bis jetzt waren ihm immer noch Ausreden eingefallen, warum man ihn nicht besuchen konnte. Das ging aber bestimmt nicht mehr lange gut, und er fühlte sich mies dabei; irgendwie war das ja auch gelogen, oder? Und wie sollte er das jemals Clara beichten?
    Mit den Schwestern im Heim hatte er auch nicht darüber geredet, aber in diesem Kaff kannte jeder jeden. Die wußten Bescheid. Schwester Angelika hatte eben wieder so komisch geguckt, als sie sagte: viele Grüße zu Hause.
    Clara war heute nicht gekommen. Sie wäre krank, hatte Angelika gesagt. Was mochte sie wohl haben? Ob er mal bei ihr zu Hause anrief und fragte?
    Ein eisiger Windstoß fegte ihm die Kapuze vom Kopf. Er bremste, stieg vom Rad und pellte sich aus den Handschuhen. Die klammen Finger hatten Mühe, einen Knoten zu binden. Er versuchte, die Lippen zu spitzen, aber sein Gesicht war taub von der Kälte. Wenn er heute abend mit dem Rad nach Grieth fuhr, mußte er sich seinen dicken Schal bis über die Nase binden.
    Christian Toppe war auf dem Heimweg vom Altenheim in der Burg Ranzow. Vor zwei Jahren hatte er ein paarmal ziemlichen Mist gebaut, Sachen mitgehen lassen und so, und sie hatten ihn zu Sozialstunden verknackt. Zuerst mußte er im Tiergarten arbeiten, und als sie ihn zum zweiten Mal erwischten, hatten sie ihm die Ätze von Altenheim aufs Auge gedrückt.
    Aber dann war es gar nicht so übel gewesen. Mit Opa Czesnik hatte er sich sofort echt verstanden. Überhaupt waren die Alten irgendwie klasse, jedenfalls viel abgefahrener als seine Eltern. Inzwischen ging er freiwillig hin, meist zweimal die Woche, spielte Karten und quakte mit Opa Czesnik und den anderen Männern, ging für die Omas Kuchen holen und solche Sachen.
    Außerdem traf er dort Clara jeden Sonntag und manchmal auch mittwochs. Wenn er heute abend sowieso in Grieth war, konnte er ja einfach mal bei Albers klingeln und gucken, was mit ihr los war.
    Er war so in Gedanken, daß er die Kurve zur Esperance zu flott nahm und mit dem Hinterrad wegrutschte. Die Nebenstraßen waren immer noch eisglatt. Im letzten Moment fing er sich ab. Kackwinter! So kalt war es doch wohl überhaupt noch nie gewesen.
    In drei Monaten wurde er achtzehn, aber seine Alten hatten ihm schon gesagt, ein eigenes Auto könnte er sich von der Backe putzen, und für den Führerschein sollte er mal fein jobben gehen. Wo, bitte schön, sollte er denn wohl die Zeit dafür hernehmen? Schule konnte man schließlich auch nicht einfach so aus dem Ärmel schütteln. Er schon zweimal nicht. Aber Clara hatte versprochen, mit ihm für die nächste Mathearbeit zu pauken.
    Er bog in den Feldweg ein, der zu seinem neuen Zuhause führte. Hoffentlich war wenigstens das Essen fertig.

    Helmut Toppe, im Hauptberuf Leiter des Klever K 1 für Gewaltverbrechen, jetzt aber schon seit Wochen eher Klempner, Maler, Elektriker, zog mit aller Kraft an dem Haken – endlich hielt er. Toppe stieg von der Leiter, schaute zur Decke hoch und rieb sich den Nacken. Sieben Löcher, wo der Putz bei seinen vergeblichen Versuchen, den Kippdübel zu verankern, in großen Placken heruntergefallen war. Jedesmal wenn man irgendwas an den Decken befestigen wollte, wurde man daran erinnert, daß das Haus über zweihundert Jahre alt war. Jetzt mußte er wohl auch noch verputzen lernen. Probeweise hob er den Kronleuchter an. Das Monstrum wog bestimmt einen halben Zentner. Das bekam er nie allein aufgehängt. Astrid hatte das Ding vor Jahren von ihrer Großmutter geerbt, es damals in eine Kiste gepackt und auf dem Speicher bei ihren Eltern untergestellt, weil es für ein normales Zimmer einfach viel zu bombastisch war. Hier in der Eingangshalle aber mache es sich wunderbar, hatte sie gemeint, es gäbe dem Ganzen den Touch eines englischen Landhauses.
    Im oberen Stockwerk dröhnte eine Bohrmaschine. Gabi hängte Bilder auf. Toppe seufzte.
    »Astrid«, rief er, bekam aber keine Antwort. Wo steckte sie denn? Eben hatte sie doch noch Bücher in ihr Zimmer
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