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Clara

Clara

Titel: Clara
Autoren: Hiltrud Leenders , Michael Bay , Artur Leenders
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Füße in den Sand, und sie zogen mit aller Kraft.
    Der Tote hatte nur ein halbes Gesicht.
    Ernst Willi drehte sich weg. Franz rieb die Handflächen an der Jacke und schaute den Fluß hinauf.
    »Wat jetz’?« meinte Ernst Willi schließlich.
    »Kripo«, antwortete Franz tonlos.
    »Wat haben die denn für ’ne Nummer?«
    »Wat weiß ich? Einfach die Bullen.«
    Der Tag im K 1 begann wie jeder Montag mit einer Teambesprechung.
    Walter Heinrichs, der am Wochenende Dienst gehabt hatte, erstattete Bericht. Toppe lehnte an der Fensterbank. Neben ihm gluckerte die Kaffeemaschine, und es war angenehm warm im Büro. Er war immer noch gern an seinem alten Arbeitsplatz.
    Vor einem Jahr hatte man ihren Chef, Stanislaus Siegelkötter, weggelobt, und die Stelle war bis jetzt unbesetzt geblieben. Für den 1. März war eine neue Leitung angekündigt, und wenn man den Gerüchten glauben konnte, würde es sich um eine Frau handeln. Siegelkötter hatte, als letzte Amtshandlung gewissermaßen, Toppe sein schniekes Chefbüro überlassen. Schließlich sei Toppe Leiter des ersten Kommissariats, und es wäre doch höchste Zeit, daß das endlich mal jedem klar würde. Seitdem hatte Helmut Toppe das, wovon er so viele Jahre geträumt hatte: Platz, frische Luft und Ruhe zum Nachdenken. Aber er gewöhnte sich nur langsam daran. An seinen Aufgaben hatte das neue Büro übrigens nichts geändert. Vor anderthalb Jahren war ihr Kollege Breitenegger bei einem Unfall ums Leben gekommen, und man hatte dessen Stelle einfach gestrichen. Jetzt bestand das K 1 nur noch aus vier Leuten, und Toppe mußte genauso viel lästige Beinarbeit leisten wie die anderen.
    Walter Heinrichs war seitdem der Aktenführer im Team, das war ein Schreibtischjob, den er nur zähneknirschend übernommen hatte. Trotz seiner 55 Jahre und erheblichen Übergewichts war er immer in Bewegung und am liebsten draußen vor Ort tätig. Aber nach einem schweren Infarkt vor fünf Jahren war sein Herz schwach, und jeder, außer ihm selbst, sah ein, daß er kürzer treten mußte. Deshalb hatte Toppe ihn, in stiller Übereinkunft mit den anderen, auf den ruhigeren Posten verbannt, obwohl wahrlich niemand behaupten konnte, daß Heinrichs dafür die optimale Besetzung war. Sein Ordnungssinn war eigenwillig und deckte sich in keiner Weise mit dem der anderen. Sein Schreibtisch, auf dem sämtliche Unterlagen, Berichte, Notizen zu einem Fall sortiert und abgeheftet werden sollten, sah immer aus, als sei gerade eine Windhose darüber hinweggefegt. Man mußte Heinrichs allerdings zugute halten, daß er selbst die Sache im Griff hatte und auf Anhieb fand, was er suchte. Problematisch wurde es immer dann, wenn er Urlaub hatte oder ein paar Tage krank war.
    »Was meinst du, Helmut, sollen Astrid und ich das übernehmen?«
    »Wie bitte?« Toppe lächelte verlegen. Er hatte keine Ahnung, was Heinrichs von ihm wollte.
    Norbert van Appeldorn, der wie immer lässig, die Beine auf dem Schreibtisch, da saß, grinste frech: »Ich würde zu gern wissen, wo du wieder mit deinen Gedanken warst.«
    Heinrichs schlug die Augen zur Decke und fing noch einmal von vorn an. Gestern abend war ein sechzehnjähriges Mädchen auf einem Parkplatz an der Hoffmannallee vergewaltigt und schwer verletzt worden. Jemand mußte zum Krankenhaus fahren und mit dem Mädchen und den Ärzten sprechen.
    Toppe sah Astrid fragend an; die nickte.
    Heinrichs fackelte nicht und griff nach seiner Jacke, bevor Toppe es sich womöglich anders überlegte und ihm irgendwelchen Schreibkram aufs Auge drückte. Er schob Astrid vor sich her zur Tür.
    Die beiden waren kaum weg, als das Telefon auf Heinrichs’ Schreibtisch klingelte. Van Appeldorn erhob sich gemächlich und nahm den Hörer ab. Er lehnte sich gegen den Tisch und kreuzte die Beine. Toppe betrachtete ihn aus den Augenwinkeln. Seit fast zwanzig Jahren arbeiteten sie zusammen, und wenn man bedachte, wie verschieden, wie fremd sie einander oft waren, lief es erstaunlich gut. Van Appeldorn war zehn Jahre jünger als er, Akademiker, hatte mal Jura studiert; er war sehr groß mit langen dünnen Beinen, hatte pechschwarzes, immer ein bißchen zu langes Haar und einen gelangweilten, oft müde herablassenden Gesichtsausdruck. Toppe stellte fest, daß der Kollege so langsam seine dürre Schlacksigkeit verlor. Das Hemd spannte deutlich über dem Bauch. Man konnte sehen, daß er schon seit einer Weile nicht mehr aktiv Sport trieb, wohl aber immer noch mit den alten Fußballkameraden in der
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