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Feuersteins Drittes

Feuersteins Drittes

Titel: Feuersteins Drittes
Autoren: Herbert Feuerstein
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Taxifahrer hatte seine Einstufung von uns dann doch noch ändern müssen, als wir nach einiger Irrfahrt im gewaltigen Frachtteil des Hamburger Hafens plötzlich vor einem weißen Traumschiff standen, anmutig und fast ein wenig arrogant inmitten der Seelenverkäufer und Container-Gebirge. Bei einer kompletten Neubeladung und Reinigung zwischen längeren Kreuzfahrten wolle man die noblen Überseebrücken nicht so lange blockieren, lautete die offizielle Begründung, aber da wir im Verlauf der Reise ein paar Mal in ähnlichen Hinterhöfen festmachten, vermute ich, dass das Reedereideutsch war für »Wir sparen, wo es nur geht«. Trotzdem hatte der Taxifahrer Unrecht gehabt: Mit Schrott hat Cellpap nichts zu tun. Hier wird hauptsächlich Altpapier verladen.
    Vor dem Schiff war ein weißes Festzelt aufgebaut, girlandengeschmückt wie auf dem Rummelplatz, und drinnen warteten Champagner, Passkontrolle, der Kreuzfahrtdirektor mit seinem Gute-Laune-Team, beflissene Helfer mit dem Dauerlächeln von Zirkusartisten sowie ein Fotoauge, um jenes Plastikkärtchen mit Lichtbild zu erstellen, das für die nächsten siebzehn Tage für unsere Identität bürgen würde, wenn wir das Schiff zum Landausflug verlassen sollten. Auch die beiden netten Damen der Agentur, die mir diese Lesereise vermittelt hatten, waren vor Ort und fragten fürsorglich nach meinem Befinden.
    »Was für ein Riesenschiff«, sagte ich in ehrlicher Bewunderung und blamierte mich damit zum zweiten Mal innerhalb einer Stunde. Es sei eines der kleinsten, erfuhr ich, gerade mal für 650 Passagiere... mindestens das Doppelte, eher das Dreifache sei heute die Norm. So was Ähnliches war mir übrigens schon mal vor vierzig Jahren in New York passiert, als ich für meine Zeitung zum ersten Mal die Kolumne »Wir trafen am Hafen« versorgen sollte und in poetischer Verklärung gleich im ersten Satz schwärmte, wie das »Riesenschiff vor Anker ging«. Wochenlang spotteten und lachten meine Kollegen darüber, weil ein Schiff am Pier nicht vor Anker geht, sondern festmacht und es sich außerdem um die »Bremen« handelte, der damals kleinste in der Flotte der Ozeanliner. Na ja, dafür weiß ich, dass Schubert dreizehn Opern geschrieben hat, auch wenn die heute kein Schwein mehr aufführt...
    Wir reisen gern leicht, auch auf längeren Strecken, aber auf dem Schiff ist so was undenkbar, allein schon wegen der Mindestausstattung von sechs Abendkleidern für meine Frau und meines Smokings mit weißer Zweitjacke, für den Fall, dass ich die schwarze voll kotzen würde. Dienstbare Geister hatten uns die Koffer abgenommen, und als wir die Kabine betraten, waren sie auf wunderbare Weise schon dort. Es war eine eher schlichte Kabine, an siebenter Stelle in der Rangordnung von insgesamt zwölf Kategorien, aber immerhin nach außen, mit Fenster, Duschbad und Sitzecke. Ein wenig neidisch hatte ich dem Pärchen vor uns nachgeschaut, das den langen Weg ganz nach oben antrat, in eine der beiden Penthouse-Suiten gleich neben der Brücke, während wir auf dem Hauptdeck nur um die Ecke zu biegen brauchten, aber dafür zahlte es 40000 Euro für die Reise, wir hingegen nichts. »Wir haben eindeutig das bessere Preis-Leistungs-Verhältnis«, meinte meine in solchen Fällen so wunderbar vernünftige Frau.
    Zum Auspacken kamen wir erst mal nicht, denn gleich jetzt, noch fest vertäut am Cellpap-Pier, gab es den vorgeschriebenen Rettungsdrill: Mit angelegter Schwimmweste begibt man sich zu Fuß — die Fahrstühle sind für dieses Manöver sinnvollerweise stillgelegt — auf das richtige Deck vor das richtige Boot und lernt dabei jene Mitpassagiere kennen, mit denen man im Ernstfall darin sitzen und Lose ziehen würde, um zu bestimmen, wer wen als Ersten aufessen darf, wenn der Notproviant nach zwei Wochen zu Ende gegangen ist.
    Schon toll, so ein knallrotes, massives Rettungskorsett eng geschnürt am Leib zu tragen. Im Flugzeug gibt’s ja nur diese Minidinger, unzugänglich unter dem Sitz versteckt, hoch in den Lüften und deshalb fern aller Realität. Aber hier, wo es nach Meer roch und schon ein bisschen schaukelte, war das nicht ohne Reiz: die drohende Gefahr ganz nahe, und trotzdem in Sicherheit. Dasselbe Gefühl wie damals, als ich als Schuljunge in Salzburg am Puff vorbeischlich.
    Zur Beruhigung gab es eine kurze Ansprache des Kapitäns, der uns versicherte, dass noch nie was passiert sei (was, statistisch gesehen, gar keine Beruhigung ist, sondern im Gegenteil: Auf die Dauer MUSS ja mal was
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