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Der siebte Turm 01 - Sturz in die Dunkelheit

Titel: Der siebte Turm 01 - Sturz in die Dunkelheit
Autoren: Garth Nix
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KAPITEL EINS
     
     
     
    Das Ruinenschiff stand seit vielen Generationen am Fuße des Berges. Ein riesiger Haufen aus glänzendem Metall, das niemals zu rosten schien. Es war gebaut wie alle Schiffe der Eiscarls, auch wenn die anderen nur aus Selski-Knochen und Selski-Häuten bestanden.
    Im Laufe der Zeit waren Moose und Flechten auf dem Schiff gewachsen und so leuchteten die Seiten und das Deck blass in den verschiedensten Farben. Das war überaus selten in dieser Welt der ewigen Dunkelheit. Trotz der abgebrochenen Masten und der lange verwitterten Seile war das Ruinenschiff gewaltig. Es war mindestens fünfmal so groß wie ein durchschnittliches Clanschiff – und diese konnten schon hundert und mehr Eiscarls samt Ausrüstung und Fracht beherbergen.
    Tal, der noch zwei Wochen zuvor geschworen hätte, dass außerhalb seines Zuhauses nichts als Eis existierte, wollte nicht glauben, dass die seltsame, leuchtende Form vor ihm ein Schiff war. Es musste sich um eine ihm unbekannte Naturerscheinung handeln.
    Tal hatte sein ganzes dreizehn und dreiviertel Jahre langes Leben – bis auf vierzehn Tage – innerhalb der räumlichen und sozialen Grenzen des Schlosses zugebracht. Er war großgezogen worden, um seinen Platz unter den Erwählten einzunehmen, den Herrschern über Licht und Schatten. Wie alle Erwählten war er sich immer sicher gewesen, dass außerhalb der lichtdurchfluteten Hallen und Türme des Schlosses nichts anderes existierte. Man hatte ihm beigebracht, dass es neben den Erwählten nur noch das Untervolk gab, dessen Angehörige geboren waren, um zu dienen.
    Nichts in seinem Leben hatte ihn auf die Realität der Eiswelt vorbereitet. Und auf die Eiscarls, die dort lebten. Doch die Erfahrung, jeden Tag um das nackte Überleben kämpfen zu müssen, hatte seine einst ehernen Glaubenssätze zerbrechen lassen. Tal war noch immer ein Erwählter. Das war nicht zuletzt an seinem Schattenwächter zu erkennen. Doch sein absoluter Glaube an eine angeborene Überlegenheit war ernsthaft ins Wanken geraten.
    Er hatte sogar begonnen zu akzeptieren, dass die Eiscarls nicht zum Untervolk gehörten, auch wenn sie nur natürliche Schatten hatten. Doch er hielt noch immer an dem Glauben fest, dass nur die Erwählten etwas Schönes und Mächtiges erschaffen konnten. Das Ruinenschiff, das sowohl schön als auch einschüchternd war, konnte also nur irgendeine Naturerscheinung sein.
    Als der Schlitten den eisigen Hang hinauffuhr, mussten die sechs davorgespannten Wreska härter arbeiten. Ihr heißer Atem hing nun als Wolke über ihren Geweihen und ihre Hufe warfen Eissplitter auf.
    „Das muss eine Natur…“, murmelte Tal, als der Schlitten näher kam und das Schiff höher und höher vor ihm aufragte. Er verstummte mitten im Satz, als sein Verstand erfasste, dass dieses Ding kein vom Wind geformter Felsen war.
    „Was hast du gesagt?“, fragte Milla. Tal war gezwungenermaßen mit dem Mädchen über das Eis gereist. Sie saß weiter hinten und konnte kaum aus dem Schlitten hinaussehen.
    „Nichts“, gab Tal zurück. Kleine Stalaktiten aus Eis brachen dabei von seiner Gesichtsmaske ab und flogen in Millas Richtung. Doch bevor sie davon getroffen wurde, schlug sie sie mit einer Handbewegung weg.
    „Schüttle nicht deinen Kopf,“ wies Milla ihn zurecht. „Es ist unhöflich, Eis über seine Begleiter regnen zu lassen.“
    Tal zuckte mit den Schultern, wobei noch mehr Eis herunterfiel. Dieses Mal war es mehr, als Milla abwehren konnte. Sie seufzte und zog ihre Gesichtsmaske herunter, um erneut ihren Unmut zu signalisieren.
    Tal war das gleichgültig. Die Eiscarls machten eine Menge Wirbel darum, ob man jemandem sein Gesicht zeigte oder nicht. Ihn jedoch interessierten diese Maskensitten nicht. Der Wind war so kalt, dass er durch seine Haut hindurch geradewegs bis in seine Knochen vorzudringen schien. Tal wusste aus den Erfahrungen der letzten beiden Wochen, dass ohne Maske die Wangen und Gesichtsknochen sofort zu schmerzen begannen, was dann stundenlang nicht abklang.
    Tal sah wieder nach vorn. Er musste wohl akzeptieren, dass das Ruinenschiff von Menschen erbaut war. Und doch sträubte er sich gegen die Vorstellung, dass es die Eiscarls gewesen waren.
    Oben auf der Anhöhe zügelte der Eiscarl auf dem Steuerbock die Wreska und lenkte die Leittiere auf einen verschlungenen Pfad. Der Weg war mit leuchtenden Felsen markiert, die seinen verwundenen Linien in die Dunkelheit folgten.
    Das Schiff stand in einer Talsohle. Die
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