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Äon - Roman

Titel: Äon - Roman
Autoren: Heyne
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PROLOG
    Rom, August 1212
    I nnozenz III., seit vierzehn Jahren Oberhaupt der römischkatholischen Kirche, sah aus dem Fenster. Der Hitzedunst des Hochsommers lag über der Stadt Rom, die in diesen Tagen zu schlafen schien.
    »Der Gesandte wartet, Heiliger Vater«, sagte Drusius, einer der Sekretäre. Er stand an der Tür.
    »Ich bin gleich so weit«, erwiderte Innozenz, ohne sich umzudrehen. Er seufzte leise. Er empfand seine Verantwortung als schwere Last, die ihn unter sich zu zermalmen drohte. Es galt, die Macht der Kirche zu erweitern und zu festigen, Rom und die katholische Kirche wieder zum einen großen Zentrum der Welt zu machen. Die Bekämpfung der Häresie war eine Maßnahme, um dieses Ziel zu erreichen, der Kampf gegen den Islam eine andere. Und jetzt zwangen ihn die Umstände, jemanden zu empfangen, der auf der anderen Seite stand, einen Feind und Ungläubigen. Doch auch dieser Mann hielt sich für einen wahren Gläubigen.
    Innozenz drehte sich um und kehrte zu seinem großen Schreibtisch zurück. Dutzende von Dokumenten lagen dort, neben Notizen und Entwürfen. Er hatte schon vor einigen Wochen begonnen, Vorbereitungen für ein neues Laterankonzil
zu treffen, das vierte in der Geschichte der katholischen Kirche. Der katholische Glaube musste vor der Bedrohung durch Häretiker geschützt werden, und nach dem missglückten 4. Kreuzzug vor acht Jahren brauchten die Kreuzfahrerstaaten in Palästina Unterstützung; außerdem war es notwendig, die kirchliche Freiheit im Investiturstreit zu bestätigen. Nur drei Punkte auf einer langen Liste von Dingen, die die Aufmerksamkeit des Papstes erforderten. Doch jetzt war ein neuer Punkt hinzugekommen und stand ganz oben, an erster Stelle.
    Er nahm den Brief, der aus dem Archiv stammte, und las noch einmal die Worte, die vor achthundert Jahren geschrieben worden waren. Sie stammten von Sophronius Eusebius Hieronymus und waren an Innozenz I. gerichtet.
    »Ist es ein Zufall, dass ich den gleichen Namen trage?«, fragte Innozenz III. »Oder müssen wir ein Omen darin sehen?«
    Der kleine, schmächtige Drusius stand noch immer an der Tür. »Wenn es ein Omen ist, dann hoffentlich ein gutes«, sagte der Sekretär. »Mit Eurer Erlaubnis, Heiliger Vater: Ihr solltet ihn nicht länger warten lassen. Er ist ein Neffe Saladins, und sein Einfluss im Orient …«
    »Einer von fünfunddreißig.« Innozenz seufzte erneut und nickte dem Sekretär zu. »Schick ihn zu mir.«
    »Sofort, Heiliger Vater.« Drusius öffnete die Tür und verließ den Raum.
    Kurze Zeit später kam ein prächtig gekleideter Mann herein; er trug Ringe an den Fingern, einen Turban und hatte einen dichten schwarzen Bart.
    »Salam alaikum«, sagte der Besucher und deutete eine Verbeugung
an, trat dann zum Schreibtisch und streckte die Hand aus.
    Innozenz berührte die Hand kurz. »Friede sei auch mit Euch, Al-Kamil Muhammad al-Malik.« Er deutete auf den Stuhl. »Bitte nehmt Platz«, sagte er und setzte sich hinter seinen Schreibtisch.
    Al-Kamil begann ohne Umschweife. »Ein neuer Kreuzzug ist unterwegs. Eigentlich sind es sogar zwei. Ein französischer und ein deutscher.«
    »Ein Kreuzzug der Kinder«, sagte Innozenz.
    »Ja, Euer Heiligkeit«, erwiderte der Muslim. »Er darf sein Ziel nicht erreichen.«
    »Sie haben mich um die Unterstützung der Kirche gebeten«, sagte Innozenz. »Sie bitten um einen offiziellen päpstlichen Auftrag.« Mutige Kinder, dachte er. Sie wären ein gutes Beispiel für die Erwachsenen.
    »Sie dürfen ihn nicht erhalten. Ihr wisst warum.« Al-Kamil fügte den Dokumenten auf dem Schreibtisch einige weitere hinzu, die aus Ägypten stammten. »Das Treffen soll in Jerusalem stattfinden.«
    Innozenz blickte in die dunklen Augen des Besuchers und sah dort nicht nur große Intelligenz, sondern auch große Sorge.
    »Sogar der genaue Ort ist bekannt«, fügte Al-Kamil hinzu. »Unweit der Tempelruine. Beim alten Kerker.«
    »Uns wäre viel erspart geblieben, wenn die Grabräuber ihn damals nicht entdeckt hätten«, sagte Innozenz III.
    »Wunschdenken bringt uns kaum weiter, Euer Heiligkeit.«
    »Da habt Ihr recht«, bestätigte der Papst. »Und es ist nicht bekannt, mit welcher Identität die Sechs unterwegs sind?«

    »Nein, Euer Heiligkeit. Ich nehme an, diese Details fehlen auch in Euren Unterlagen, nicht wahr?«
    Innozenz III. legte den Brief beiseite, den Hieronymus vor acht Jahrhunderten dem ersten Innozenz geschrieben hatte. »Das stimmt bedauerlicherweise. Aber die Warnung ist deutlich
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