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Fern wie Sommerwind

Fern wie Sommerwind

Titel: Fern wie Sommerwind
Autoren: Patrycja Spychalski
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will nicht in Tränen ausbrechen. Sie will der Kleinen auf keinen Fall die Wahrheit zumuten. Dass ihr Papa nämlich ein anstrengender Typ war, verkannter Künstler, manchmal zornig, dass er sich oft im Ton vergriff, sie manchmal angriff. Dass Nora das zu spät erkannt hatte. So spät, dass sie fast schon ein anderer Mensch geworden war. Weinerlich, empfindlich, immer müde. Depressiv. Und als sie sich einmal im Spiegel beinahe nicht erkannte, da schlug ihr Herz plötzlich bis zum Hals, und sie rannte raus auf die Straße und weinte so hemmungslos, dass sogar Passanten anhielten und sie fragten, ob alles in Ordnung sei.
    Sie setzte sich in den Bus und fuhr bis zur Endstation und dann wieder zurück, die ganze Nacht lang, und während sie fuhr, fasste sie den Entschluss, von nun an alleine durch die Welt zu gehen, aber da wusste sie noch nicht, dass Kim schon unterwegs war.
    Sie sagte dem verkannten Künstler nichts. War einfach weg, zog um, änderte ihre Handynummer, färbte sogar ihr Haar, um möglichst nicht erkannt zu werden. Sie trug ständig Hut und Sonnenbrille und ganz andere Kleidung als früher. Sie hatte Angst, er könnte ihr zufällig über den Weg laufen.
    Sie haderte immer wieder mit sich selbst, ob sie das Kind haben wolle. Nicht dass sie noch die Wahl gehabt hätte, es war schon zu spät, um es wegzumachen. In dieser Zeit weinte Nora viel.
    Und als Kim dann schließlich da war, nahm Nora ihr Baby in den Arm und ließ es einen ganzen Tag nicht mehr los. Sie weinte und lachte und manchmal tat sie beides gleichzeitig, und es war das Größte, dieses Kind geboren zu haben und am Köpfchen zu riechen und diese kleinen, winzigen Fingerchen zu halten.
    Nora spült sich die Zahnpasta aus dem Mund. »Ich weiß nicht, wo dein Papa ist«, versucht sie schließlich die möglichst aufrichtige Antwort.
    »Mama, du bist komisch«, meint ihre Tochter klug.
    »Vielleicht schon.«
    »Hm.« Kim springt von der Klobrille, drückt die Spülung und verschwindet in ihr Zimmer, um ihre Puppen aus dem Bett zu holen und sie für den Tag anzuziehen.
    Glücklicherweise halten sich Kinder nicht zu lange an einem Thema auf.
    Nora wird dann gleich Frühstück vorbereiten, Maisbrei mit Nüssen, Rosinen und braunem Zucker. Beider Lieblingsfrühstück. Und dann, wenn sie Kim im Kindergarten abgegeben hat, wird sie in einem Café sitzen, eigentlich Anträge schreiben wollen, für Kunststipendien, aber nicht dazu kommen, weil sie sich die ganze Zeit fragen wird, welche Antwort auf die Vaterfrage für ihre wunderschöne Tochter die beste wäre, die optimalste, um sie in ihrer Entwicklung nicht zu stören.
    Sie wird keine Antwort finden, denn das Sprichwort »Wer suchet, der findet« ist nicht unbedingt immer richtig.
    »Hey, kleine Nora!« Rocco steht vor mir, und mir fällt fast das Eis aus der Hand, so überrumpelt bin ich.
    »Hey.« Ich muss unwillkürlich lächeln. Rocco strahlt einen immer an, dass man gar nicht anders kann. Seine Hosen hängen ihm fast in den Kniekehlen, seine Basecap hat er grundsätzlich verkehrtherum auf und die Sonnenbrille darf natürlich auch nicht fehlen.
    Rocco setzt sich neben mich auf die Treppe. »Mieser Tag heute?«
    »Wie kommst du drauf?«
    »Du siehst aus, als würde dir irgendetwas Sorgen bereiten.« Er schnippt sich Sand unter den Fingernägeln weg, dann setzt er seine Cap ab und streicht sich durch die braunen Haare.
    »Ich habe nur über etwas nachgedacht. Aber ja, das kann einem schon Sorgen bereiten.«
    »Willst du drüber reden?«, fragt Rocco, doch er scheint nicht wirklich interessiert.
    »Eigentlich nicht. Nur so Gedankenspiele«, beruhige ich ihn.
    »Ich halte ja nicht so viel von Gedankenspielen. Von Gedanken allgemein.« Rocco grinst zufrieden.
    »Ach ja?«
    »Diese ganze Grübelnummer und so, nee, das ist nichts für mich.« Er meint es tatsächlich ernst.
    »Und was ist etwas für dich?«
    »Möglichst viel Spaß haben!«
    Puh.
    Ich weiß auch nicht, was mich daran stört, aber meine Antwort fällt deutlich aus. »Das klingt irgendwie ziemlich blöd.«
    »Finde ich nicht. Das ist doch ganz normal. Ich glaube, nur die Leute finden das nicht, die keinen Spaß haben und gerne welchen hätten. Das ist wie mit dem Geld. Es schimpfen nur die über Geld, die keins haben. Oder über Vitamin B. Beziehungen schaden nur denen, die keine haben. Und so.«
    »Ich finde deine Argumentationskette etwas konfus.«
    Aber in Wirklichkeit habe ich Rocco schon längst in mein Herz geschlossen. Ich glaube, er
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