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Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)

Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Blutsverwandt: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Michele Giuttari
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Samstag, 1. November
    Auf einmal hörte er das Quietschen.
    Jemand hatte die prunkvolle schmiedeeisenverzierte Glaseingangstür geöffnet und war eingetreten.
    Er nahm seine Brille ab und legte sie auf den Sims der Portiersloge. Vor sich, noch ein Stück entfernt, sah er drei Polizisten in dunkelblauen Uniformen. Einer trug einen Regenmantel. Er war größer als die beiden anderen und hatte einen durchtrainierten Körper. Mit seinen schwarzen Augen, die wie zwei Tintenkleckse wirkten, starrte er den Männern entgegen.
    Sie waren jung, zwischen fünfundzwanzig und dreißig, und gingen gerade an dem Schild mit der Aufschrift »Besucher müssen sich grundsätzlich anmelden« vorüber.
    Er wartete.
    »Guten Abend«, grüßte der Polizist mit dem Regenmantel.
    Sein Ton war freundlich. Sein Lächeln ebenfalls.
    »Guten Abend«, antwortete er und blickte sein Gegenüber fragend an, begierig, den Grund des Besuchs zu erfahren. Mal was Neues. In über dreißig Jahren hatte er es noch nie mit drei Polizisten in diesem Haus zu tun gehabt. Obendrein um diese Zeit. Es war 20.30 Uhr.
    »Wir sind vom 17. Revier und müssen etwas überprüfen«,erklärte der Polizist, der inzwischen seinen Regenmantel aufgeknöpft hatte.
    Der Portier schüttelte den Kopf, legte die linke Hand auf das Register, auf dessen schwarzem Deckel hausbewohner stand, und setzte die Brille wieder auf.
    »Bei wem darf ich Sie anmelden?«, fragte er.
    »Bei niemandem.«
    »Ich verstehe nicht … Ich bin der Portier, ich muss Sie anmelden.«
    »Das wissen wir; wir wissen, wer Sie sind. Bleiben Sie ganz ruhig, dann geht auch alles glatt. Keine Bewegung!«
    Diesmal hatte ein anderer Polizist gesprochen, ein kleinerer, von durchschnittlicher Statur und olivbrauner Gesichtsfarbe. Er hatte sich bereits Zutritt zur Portiersloge verschafft. Seine Stimme klang hart, beinahe drohend.
    Der Portier riss vor Schreck die Augen weit auf. Eine Pistole mit langem Lauf streifte seine linke Hüfte, und eine Art elektrischer Stromstoß durchfuhr seinen ganzen Körper. Sein Herz klopfte, als wollte es ihm aus der Brust springen, und seine Beine fingen an zu zittern. Eine eisige Faust drückte ihm die Eingeweide zusammen. Sogar seine Lippen bebten. Er war wie gelähmt. Eine Schusswaffe hatte er bislang nur in Fernsehkrimis gesehen.
    »Kommen Sie nicht auf dumme Gedanken«, flüsterte der junge Mann in Uniform ihm ins Ohr, der sich neben ihn auf einen Hocker gesetzt hatte. Er hatte die Pistole gesenkt und fixierte ihn mit seinen dunklen Augen.
    In diesem Moment war ein Geräusch zu hören. Das gewohnte Quietschen. Jemand betrat das Haus.
    Der Polizist stand ruckartig auf, zog seine Dienstmütze tiefer in die Stirn und legte den Finger an den Abzug. Aber nur für einen Augenblick. Ein Junge stellte keine Gefahr dar.
    Der alte Portier dagegen war regungslos sitzen geblieben, wie versteinert. Ein Strudel von Gefühlen tobte in ihm: Verwirrung, Ungläubigkeit, Furcht. Ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten begann er zu beten, während ihm der Schweiß über die Stirn rann.
    In der Luft lag ein Geruch von Angst.

    Der Aufzug fuhr rasch nach oben, und als sich die Tür im 19. Stock öffnete, begegneten sie niemandem.
    Kein Geräusch. Keine Stimmen, nicht einmal in der Ferne. Kein Gemurmel von Fernsehern oder Radios. Nur Stille. Die Wände der Etage waren weiß gestrichen und der Boden mit einem peinlich sauberen dunkelblauen Teppichboden ausgelegt. Die Beleuchtung war schummerig.
    Die beiden Polizisten blieben einen Moment stehen, verständigten sich mit einem Blick und durchquerten dann mit kraftvoll federnden Schritten den Flur rechts von ihnen.
    Im Nu standen sie vor der Wohnung am Ende des Gangs.
    Der Durchtrainierte drückte auf die Klingel. Nur einmal. Neben ihm stand sein Kollege, dunkler Teint und schwarzer Dreitagebart.
    Sie brauchten nicht lange zu warten. Nach wenigen Sekunden musterte ein Auge sie durch den Spion. Noch ein kurzer Moment, und man hörte ein Tack .
    Das Schloss schnappte auf. Die Tür öffnete sich langsam.
    Es war 20.36 Uhr.
    In Manhattan.

    Die Madison Avenue ist eine der Hauptverkehrsadern von New York. Zwischen Fifth und Park Avenue gelegen, gilt sie auch als eine der berühmten Modestraßen.
    An diesem Samstag schien dort noch stärkeres Gedränge zu herrschen als sonst, trotz der Kälte und des Regens. Lawinen von Fahrzeugen ergossen sich in die Avenue, und die in ihre Regenjacken und Wintermäntel eingemummelten Fußgänger eilten unter ihren Schirmen die
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