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Fern wie Sommerwind

Fern wie Sommerwind

Titel: Fern wie Sommerwind
Autoren: Patrycja Spychalski
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selbst in den Wind legt und am Himmel schaukelt, hoch oben in den Wolken. Dann dürfen ihn die Kinder auch halten. Ganz ehrfürchtig sehen sie dabei aus, mit nach hinten gestrecktem Hals und offenem Mund.
    Drachen sind besser als Bockwürste, ganz klar, bringen allerdings den kleineren Umsatz.
    Ich bin jetzt seit sechs Tagen hier. Freitag bin ich mit dem Zug angekommen, am späten Abend. Und gleich ist mir diese unglaubliche Meeresbrise ins Gesicht geweht. Da wusste ich hundertprozentig, dass das Ganze eine grandiose Idee gewesen war.
    Ich wohne bei Frau Mertens, einer älteren Dame mit einem sehr faltigen, sehr netten Gesicht. Frau Mertens hatte eine Annonce in der Zeitung aufgegeben, dass sie für die Sommersaison gerne ein Zimmer an eine junge, aufgeschlossene Frau vermieten würde. Schon am Telefon waren wir uns sympathisch, irgendwie stimmte die Chemie auf Anhieb. Sie klang überhaupt nicht wie eine alte Frau, sondern richtig fit. Trotzdem war ich etwas nervös, als ich ein paar Wochen später vor ihrer Tür stand und klingelte. Ich wartete mit meinem Rucksack auf der weiß gestrichenen Veranda, die aussah wie aus einem alten Film. Der weiße Lack blätterte ab, der Efeu rankte an den Pfosten hoch und da stand ein kleiner Tisch mit Blümchenplastikdecke und zwei Stühlen. Die ganze Situation fühlte sich plötzlich unwirklich an. Mit einem Mal fand ich die Vorstellung beunruhigend, einfach so bei jemand Fremdes zu wohnen.
    Aber als Frau Mertens öffnete, wurde ich gleich mit einer Umarmung begrüßt, so als wären wir alte Bekannte. Sie trug ein apfelgrünes Kleid mit einem braunen Gürtel um die Hüften. Aus den Birkenstocksandalen lugten lackierte Zehen, dunkelrot. Auf dem Kopf trug sie einen Strohhut, an dem ein paar kleine Blümchen steckten. Eine Dame mit Sinn für Accessoires. Das gefiel mir.
    »Sag doch Irmi zu mir«, hat sie freudestrahlend gerufen.
    Und das war sehr nett, aber mir wurde beigebracht, Ältere zu siezen, und zu jemandem, der schon so alt ist, hatte ich noch nie Du gesagt. Irgendwie käme ich mir dabei komisch vor. Bis jetzt habe ich möglichst jede Anrede vermieden. Das Ergebnis ist, dass ich mir doppelt so albern vorkomme, aber ich hoffe, mit der Zeit wird sich schon eine Lösung dafür finden. Dann muss ich mir morgens am Frühstückstisch nicht dreimal überlegen, wie ich am besten an die Kanne Tee am anderen Tischende komme.
    Den Job als Drachenverkäuferin habe ich im Internet gefunden, bei Studentenjobs. Ich bin zwar keine Studentin, aber am Telefon habe ich gesagt, dass ich vielleicht mal eine sein werde, und das fand der Mensch am anderen Ende der Leitung offenbar so charmant, dass er mir gleich zusagte, sogar ohne mich vorher zu sehen. Er gab mir die Mailadresse von einem gewissen Max, der vor Ort alles regeln würde, und bat mich, das Weitere mit ihm zu besprechen.
    Max ist so um die Vierzig, hat schon einige graue Haare und scheint ein wenig genervt von seiner Aufgabe, mit den ganzen »jungen Leuten« kommunizieren zu müssen. Er nörgelt ständig herum. Seine Jogginghosen sind an den Knien unglaublich ausgebeult und überhaupt scheinen sie viel zu groß, jedesmal habe ich Angst, sie könnten ihm gleich vom Hintern rutschen.
    Morgens müssen wir alle die Ware und das Wechselgeld bei Max zu Hause abholen. Abends werden die Einnahmen abgeliefert. Wir treffen uns dazu auf seiner Veranda und stehen seltsam stramm, während Max mit mürrischem Gesicht das Geld zählt. Er sieht dabei manchmal so angespannt aus, dass mir ein Stein vom Herzen fällt, wenn das ganze Prozedere durch ist und er uns endlich unseren Lohn auszahlt, nicht ohne einen blöden Spruch abzulassen. So als würde er uns einen großen Gefallen damit erweisen.
    Martin und James machen immer Blödsinn hinter seinem Rücken, sie verziehen ihre Gesichter und äffen ihn nach. Ruth und ich stehen da und versuchen, uns das Grinsen zu verkneifen.
    »Was gibt’s da zu lachen? Der Umsatz war miserabel. Hätte ich das gewusst, hätte ich meine Oma hingeschickt!«, murrt Max dann und schnaubt vor sich hin.
    Wir reißen uns dann noch kurz zusammen, brechen aber spätestens in Lachen aus, wenn wir alle bei Dario sitzen und auf unsere Pizza warten. Ich liebe Darios Pizzeria, die Küche mit dem riesigen gemauerten Steinofen ist offen, und es macht Spaß ihm zuzuschauen, wie er den Teig hoch in die Luft wirft, fast bis zur Decke. Außerdem läuft dort die ganze Zeit so schräge Musik eines lokalen Radiosenders, die bis auf die
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