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Fern wie Sommerwind

Fern wie Sommerwind

Titel: Fern wie Sommerwind
Autoren: Patrycja Spychalski
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Terrasse hinaustönt.
    Eigentlich sind die Abende das, worauf ich mich am meisten freue. Es hat sich einfach so ergeben, dass wir den Feierabend gemeinsam verbringen. Normalerweise bin ich zurückhaltend, wenn es darum geht, neue Leute kennenzulernen, aber die vier sind wie ganz selbstverständlich auf mich zugekommen. Sie sind nett, sehr sogar, und ich bin nicht alleine.
    Anders als bei der Arbeit. Da lege ich ewig viele Kilometer zurück und schlappe in meinen Flipflops durch den weichen Sand. Eigentlich könnte das sehr entspannend sein, hatte ich mir vorgestellt, doch mein Gehirn lässt mir keine Ruhe. Ich weiß gar nicht, woher das kommt. Manchmal frage ich mich, ob es anderen Menschen auch so geht. Unablässig drängen sich irgendwelche Gedanken in den Vordergrund. Mit immer neuen Problemstellungen.
    Jetzt gerade die Sache mit der Zukunft. Mit meiner Zukunft. Was werde ich mit meinem Leben anfangen, wenn die Schule vorbei ist, in ein bisschen weniger als einem Jahr? Es gibt so unglaublich viele Möglichkeiten: Ausbildung, Au-pair in Kanada, Freiwilliges Soziales Jahr, Ausspannen, Rumhängen, Studium, Kunst, Veterinärmedizin, irgendwelche Wissenschaften, auf keinen Fall Jura. Ich könnte jobben, beim Kellnern coole Sprüche lernen, mir einen Freund anlachen, ein Drehbuch schreiben, einen Cellokurs besuchen (Cello, das schönste Instrument von allen!). Ich könnte meine Familiengeschichte aufarbeiten, eine Weltreise machen, einen Blog schreiben, mich politisch engagieren, berühmt werden, ungeahnte Abenteuer erleben.
    Wo soll ich anfangen mich festzulegen?
    »Wir müssen uns alle festlegen. Das Leben ist nicht nur Halligalli. Oder wie ihr eher sagen würdet: Das Leben ist kein Ponyhof. Man muss Verantwortung übernehmen. Du musst Verantwortung übernehmen! Wir sind Milliarden von Menschen auf der Welt, jetzt stell dir mal vor, alle würden nur das machen, was ihnen Spaß macht, ohne sich festzulegen … na danke schön!«
    Solche Sätze sagt mein Vater manchmal und will dann von mir wissen, wie ich mir mein weiteres Leben vorstelle, zusätzlich bläut er mir ein, dass es nie zu früh sei, sich um die Altersvorsorge zu kümmern.
    Altersvorsorge ist ein gruseliges Wort.
    Ich bin keine Drückebergerin und auch nicht feige, und ich habe sowieso beschlossen, innerhalb der sechs Wochen Ferienjobben an diesem schönen Strand hier eine Antwort zu finden, darauf, wie ich als erwachsener Mensch durch die Welt gehen will.
    Und dass mir das Kopfschmerzen bereiten würde, damit habe ich schon gerechnet und eine Großpackung Paracetamol eingepackt.
    Meine Pause ist zu Ende, ich stehe auf und klopfe mir den Sand von meiner eigenhändig abgeschnittenen Jeans, die zwar schon superkurz ist, aber immer noch zu warm für diese Temperaturen. Fast dreißig Grad. An den Schultern habe ich schon am ersten Tag einen üblen Sonnenbrand bekommen, trotz Eincremen.
    »Ich habe da so ein Spezial-Öl, das hilft gegen jede Strahlung«, hatte Martin mir heute früh angeboten, als er meine verbrannten Schultern sah. Martin Gelbhaar mit dem wirklich gelben Haar, locker zur Seite gekämmt, und den blau-weiß gestreiften Matrosen-Shirts. Er kommt hier aus dem Ort und ist deswegen braun gebrannt wie ein kalifornischer Surferboy. Er hat Lederbändchen um die Handgelenke hängen und eine wirklich tolle samtige Stimme. Ich bin ein großer Fan von samtigen Stimmen.
    Ich lasse noch einmal den Blick über das Meer schweifen, das heute ungewöhnlich glatt ist. Dann ziehe ich weiter meine Bahnen, vom Steg, wo man die Surfbretter ausleihen kann, bis ganz hinunter, wo das Karussell mit den bunt angemalten Elefanten, Autos und Fliegern steht, und wieder zurück. Die Kinder zerren stundenlang ihre knallbunten Schwimmreifen und aufblasbaren Boote unter Kreischen ins Meer und bespringen sie. Das Wasser spritzt in alle Richtungen. Die Kinder verschlucken sich am salzigen Wasser, husten und lachen gleichzeitig, werden von ihren älteren Geschwistern an den Armen rausgezogen und von den Eltern ermahnt, nur nicht zu weit rauszuschwimmen. Unermüdlich bauen sie Burgen und schmücken sie mit Steinen und Muscheln. Es macht mir Spaß, dabei zuzuschauen. Meine Gedanken schweifen immer wieder ab, und ich kriege regelmäßig einen Schreck, wenn mich jemand anspricht. »He Fräulein! Was kostet so ein kleiner Drache?«
    Die Sonne sinkt immer tiefer, bis die Funken auf dem Meer ganz warm und golden werden. Die Leute fangen an, langsam ihre Sachen zusammenzupacken. Die
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