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Fern wie Sommerwind

Fern wie Sommerwind

Titel: Fern wie Sommerwind
Autoren: Patrycja Spychalski
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Handtücher und Decken werden ausgeschüttelt, der Sand rieselt leise auf den Boden zurück. Die Kinder werden eingemummelt und schauen sehnsüchtig zu den immer größer werdenden Wellen. Die Möwen spüren den Aufbruch und trauen sich näher an den Strand heran, sie laufen auf der Suche nach Essbarem hin und her und picken im Sand herum. Die Letzten kommen aus dem Wasser, schlüpfen in ihre Schuhe und schultern die Strandtaschen.
    Ich drehe meine letzten Runden nicht mehr ganz so enthusiastisch wie zu Anfang des Tages, ein wenig erschöpft, doch dafür wieder ein Stück mehr gebräunt.
    Bis zum Abend habe ich trotz der Windstille fast vierzig Drachen verkauft. Als klar ist, dass heute nichts mehr geht, mache ich mich auf zu Max. Die anderen sind noch nicht da.
    Er drückt mir einen Fünfziger in die Hand. »Könnte mehr sein!«
    Natürlich.
    Es gibt einfach Menschen, die kriegen kein nettes Wort über die Lippen, nie. Max ist so einer.
    Ich wende mich ab, murmele ein halbherziges »Auf Wiedersehen«. Warum soll ich eigentlich nett sein, wenn er so ein Arsch ist? Ich laufe die Verandatreppe runter auf die Straße, einfach geradeaus, ohne Ziel. Für Dario ist es noch zu früh, die anderen kommen erst in einer Stunde. Ich kaufe mir am Eisstand ein Softeis, Schoko-Vanille, kunstvoll ineinandergewunden, und setze mich damit auf die Steintreppe vor einem heruntergekommenen leer stehenden Haus. Die Füße tun mir weh. Ich wackele mit den Zehen und hoffe auf Entspannung. Vor und zurück.
    Ich schaue den Familien dabei zu, wie sie vom Strand kommen, die Handtücher über die Schultern geworfen, ein wenig erschöpft und voller Vorfreude auf das Abendessen. Es gibt Familien, bei denen muss ich einfach lächeln, weil sie so sympathisch sind. Solche, die sich in die Seite kneifen und Küsse auf die Wangen drücken und ihren Kindern liebevoll zurufen, sie sollen auf dem Bürgersteig bleiben. Und dann gibt es welche, da zieht sich mein Magen vor Schmerz zusammen und in meinem Kopf läuft dann eine Endlosschleife: Lieber keine Familie als so eine …
    Es liegt an der Art, wie sie sich ansehen, angenervt, so als wären sie lieber woanders als hier. Als wäre Urlaub nichts anderes als eine einzige Qual. Etwas, was man einmal im Jahr hinter sich bringen muss, weil es sich so gehört.
    Aber es ist bloß ein Gefühl, nichts Konkretes. Ich kenne die Leute ja gar nicht. Vielleicht habe ich einfach eine komische Wahrnehmung. Man sollte die Menschen so sein lassen, wie sie sein wollen. Ich mag es schließlich auch nicht, wenn jemand anderes versucht, mir in mein Leben reinzureden. Mein Vater macht das besonders gerne und er weiß, wie sehr mich das ärgert, aber er sagt, dass es seine Aufgabe als Vater ist, und das sei auch nicht immer nur Spaß.
    Mein Blick bleibt an einer Frau hängen, einer Mutter mit Sommersprossen im Gesicht und blauen Sandalen an den Füßen. Sie bleibt auf dem Gehweg gegenüber stehen und beugt sich zu ihrer Tochter. In der einen Hand hält sie ihren kleinen Fuß, während die andere Hand dieses Füßchen vom Sand befreit, auch zwischen den Zehen. Das Mädchen lacht und ruft, dass es kitzelt, und ihre Mutter lacht auch, bekommt kleine Fältchen um die Augen und kneift ihre Tochter in die Nase.
    Kein Vater weit und breit.
    Mein Blick fällt auf mein Spiegelbild im Schaufenster daneben. Ich ziehe mir das Tuch vom Kopf und löse mein braunes lockiges Haar. Wie wäre es eigentlich, wenn ich, Nora, auch mal alleinerziehende Mutter werde …
    Der Wecker klingelt um 6:30. Nora dreht sich im Bett auf die andere Seite. Noch einmal einkuscheln, die Bettdecke ist so warm. Ihre Tochter Kim schläft noch tief und fest. Nora streicht ihr über das Haar und saugt den Duft von diesem kleinen warmen Körper in ihre Nase. »Wach auf, meine Kleine.«
    Kim verzieht den Mund. »Ich will nicht in den Kindergarten, Mama.«
    Nora steht auf und schlurft ins Bad, putzt sich die Zähne, ohne ein einziges Mal in den Spiegel zu sehen. Jetzt noch nicht, vielleicht nach dem Frühstück.
    Die kleine Kim kommt hinterhergetrottet, reibt sich die Augen und setzt sich auf die Toilette.
    »Mama?«
    »Ja?«
    »Warum haben wir keinen Papa?«
    Nora verschluckt sich an der Zahnpasta.
    »Wo hast du das her? Aus dem Kindergarten?« Immer kommt solches Zeug aus dem Kindergarten.
    »Alle haben einen Papa. Wir haben keinen Papa. Wo ist unser Papa?«
    »Dein Papa ist nicht auch mein Papa. Mein Papa ist Opa, den kennst du doch.«
    »Und wo ist mein Papa?«
    Nora
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