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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut
Autoren: Lucette ter Borg
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Tasche. Ich schmiere mir einen Tupfer auf Nase und Wangen. »Du auch was?«
    Sigrid drückt sich die halbe Tube auf Arme und Gesicht.
    Â»Nicht so viel, du Egoistin«, rufe ich. Ich schnappe mir die Tube wieder und drehe den Verschluss zu. »Der Tag ist noch jung, vielleicht brauche ich nachher noch mehr.«
    Ich verstaue die Creme in einem Seitenfach meiner Tasche und lehne mich zurück. Herrlich, dieses vitaminreiche Werk der Sonne. Ich döse ein bisschen vor mich hin. »Deine Geige«, frage ich dann, »wie kommst du darauf, dass …?«
    Â»Da ist unser Essen«, höre ich Sigrid sagen.
    Ich öffne die Augen, richte mich auf, schiebe meinen Stuhl heran, falte die Papierserviette auf meinem Schoß auseinander und nehme den ersten Bissen von meinem Kartoffelsalat. Bah, vor allem viel Mayonnaise. Ich habe schon besseren gegessen.
    Sigrid ist mit der Kellnerin beschäftigt. Sie will sofort bezahlen, damit wir nachher schnell weiterkönnen. Aber das Fräulein darf nicht kassieren, sagt es. Dafür ist es noch zu jung.
    Â»Diese Mädchen von heute können nichts mehr«, sagt Sigrid.
    Ich schneide ein Stück Currywurst ab. »Wir haben es doch nicht eilig?«, sage ich.
    Â»Nicht mit vollem Mund reden«, antwortet Sigrid. Sie nimmt die Karte, zählt die Beträge unserer Bestellungen zusammen und legt das Geld passend auf den Tisch.
    Ich kaue und schlucke. »Ich meine«, sage ich, »ich bin zwar Pianistin, aber …«
    Â»Pianistin?«, Sigrid lacht, »Klavierlehrerin meinst du.«
    Ich wische mir den Mund mit der Serviette ab. Die Currywurst trieft vor Fett, als ob die Butter in der Pfanne nicht heiß genug gewesen wäre. Ich tue, als würde ich Sigrids Seitenhieb nicht spüren. »Was ich sagen wollte, bevor du mich unterbrochen hast: Wie kommst du darauf, dass deine neue Geige eine Amati, Guarneri oder Stradiviari ist?«
    Â»Ich möchte etwas richtigstellen«, sagt Sigrid. »Jeder nennt sich heutzutage Pianist oder Musiker. Hast du diesen Unsinn in der Zeitung gelesen, als wir in den Urlaub gefahren sind, über dieses Musikfestival in Kralingen? Diese Leute nennen sich auch alle Musiker. Aber ein Pianist, einer, der professionell auf der Bühne steht, muss schon etwas mehr auf dem Kasten haben. Du erinnerst dich bestimmt, was Papa immer gesagt hat: Jemand kann zwar pianistische Qualitäten haben, doch ohne Durchsetzungsvermögen, Willenskraft und Disziplin bringt es dieser Jemand zu nichts.«
    Â»Mich kriegst du nicht auf die Palme«, antworte ich. »Dafür sitze ich hier zu gemütlich, und die Sonne lacht mich viel zu sehr an.«
    Â»Die Sonne, na, die lacht sich schlapp.«
    Sigrid nimmt ihr Schälchen Pommes frites und tut sich auf.
    Â»Ich kenne durchaus den Unterschied zwischen einer Übungsgeige und einer guten«, sage ich. »Karel hat auch Geige gespielt. Und du erinnerst dich bestimmt noch daran, wie wir im ersten Sommer nach dem Krieg losgezogen sind, um dir eine neue Geige zu kaufen. Bei Max Möller in Amsterdam haben wir dann deine Thibout entdeckt. Das habe ich für dich gemacht. So eine Geige wie deine Thibout findest du nicht so schnell wieder. Die hat Klang. Magie.«
    Â»Was verstehst du schon davon?«, fragt Sigrid und steckt sich eine Handvoll Fritten in den Mund. Sie winkt der Kellnerin. »Haben Sie auch ein bisschen Mayonnaise?« Sie wendet sich wieder an mich. »Meine Thibout war eine tolle Geige. Aber diese ist toller. Besser. Schöner. Kostbarer.«
    Ich schneide ein Stück von der zweiten Wurst ab, so lang wie mein kleiner Finger. Schwupp, rein damit. »Wie kannst du dir da so sicher sein?«, frage ich so ungerührt wie möglich. »Die Geige, die du mir im Hotel vorgeführt hast, hat nicht mal eine schöne Schnecke. Und der Wirbelkasten passt nicht zum Hals. Der sieht neu und lang aus. Und vom Klang ganz zu schweigen.«
    Â»Oh, Madame ist plötzlich Geigenexpertin«, sagt ­Sigrid. Ihre Hand tastet nach ihrem Bauch. »Du verstehst bestimmt mehr davon als Adriaan oder der Experte, den ich in Lorch gesprochen habe.« Sigrid stopft sich noch mehr Fritten in den Mund. Sie kleckert.
    Â»Du kleckerst«, sage ich, »und wenn du so schlingst, kriegst du wieder Bauchschmerzen.«
    Â»Ich wusste ja, dass du eine Menge kannst«, murmelt Sigrid mit vollem Mund. »Torten backen, Küchenschränke putzen, aber jetzt hast du dich
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