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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut
Autoren: Lucette ter Borg
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in deiner Freizeit auch noch zur Geigenexpertin weitergebildet.«
    Â»Es tut mir leid. Ich versuche, ein normales Gespräch zu führen«, sage ich, »aber das darf man bei dir wohl nicht.« Der Schweiß steht mir auf dem Rücken. Eigentlich ist es zum Piepen, wie heiß es ist in der Sonne.
    Â»Wieso nicht?«, fragt Sigrid. »Soll ich mal ein Thema anrühren, von dem du hoffst, dass ich es nie anrühren werde? Dass ich es begrabe, so wie du Karel begraben und vergessen hast? Dass ich tue, als ob ich von nichts wüsste und auch nie etwas gemerkt hätte?«
    Â»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest«, sage ich. Mein Herz schlägt schneller. Sigrid kann doch nicht, ­Sigrid weiß doch nicht? In meinem Schädel beginnt ein Zwergenhammer zu klopfen. »Ich klau mir mal eine Fritte von dir«, sage ich.
    Â»Du hast deinen eigenen Teller.« Sigrid faltet die Hände schützend um ihre Pommes frites.
    Schweigend essen wir weiter. So ungemütlich. Ich reibe mir die Schläfen. Von zu viel Sonne bekomme ich Kopfschmerzen.
    Â»Ich weiß sehr wohl«, unterbricht Sigrid die Stille, »dass du dich auf Sjors gestürzt hast, als Karel krank im Bett lag nach dem Lager.«
    Ehe ich etwas sagen kann, hat Sigrid mir einen Tritt versetzt. So einen gemeinen, mit der Spitze ihres Bergschuhs direkt ans Schienbein. »Au!«, rufe ich und greife unter den Tisch.
    Â»Ferkel«, zischt Sigrid. »War Karel so eine Enttäuschung? War er nicht mehr der Frauenheld, mit dem du prunken konntest? Und da hast du eben Trost gesucht, nicht bei irgendeinem anderen Mann, sondern bei dem deiner Schwester?«
    Ich schweige. Meine Zunge liegt wie ein Stück Silberpapier in meinem Mund. Der Kartoffelsalat mit Wurst hat sowieso schon nicht geschmeckt, aber jetzt schmeckt er überhaupt nicht mehr. Ich hätte vorsichtiger sein müssen. Ich wollte nie, dass es rauskommt. Es war unser Geheimnis. Ich wollte niemanden damit verletzen. Karel nicht und Sigrid auch nicht.
    Sigrid wird es nie verstehen, wie oft ich auch sage: Es tut mir leid, was soll ich tun, wie kann ich es wiedergutmachen? Rechnungen mit Sigrid sind nie beglichen. Sie wird wütend werden, weil es schön war, was wir hatten. Fuchsteufelswild, wie es Mama früher manchmal war. So wütend, dass ich Angst hatte, das Haus würde einstürzen, und mich in einem Schrank auf dem Dachboden versteckte. Wenn Mama mich bloß nicht fand.
    Â»Wie kannst du nur denken, dass deine Geige eine große ist?«, frage ich. »Wie kannst du so, so, so blind sein?«
    Â»Warum hast du es getan, Valentine? Deine eigene Schwester. Die Finger nicht von ihm gelassen.«
    Â»Was für hässliche Dinge du sagst.« Ich versuche zu lächeln. »Früher, bei Papa und Mama, hast du auch immer solche falschen Töne angeschlagen.«
    Â»Wovon sprichst du, Tine?«, fragt Sigrid. »Wer ist denn falsch gewesen? Das warst doch wohl du?«
    Ich darf mich jetzt nicht aus der Reserve locken lassen. Ich muss zusehen, dass ich das Heft am Tisch wieder in die Hand bekomme, wie ich es zu Hause an meinem Küchentisch auch so gut kann. »Du hast deine Thibout also eingetauscht«, frage ich, »gegen diesen … diesen …?« Mein Nacken schmerzt. Ich sehne mich nach einer Aspirin oder vielleicht sogar zweien. »Gegen diesen Fehlkauf.«
    Â»Liebe Sigi«, meine Wangen fühlen sich steif an, »wenn hier jemand hinterhältig und falsch ist, dann du. Es macht mir nichts aus, aber tu doch nicht so, als wüsstest du nicht, wie der Hase läuft. Andauernd Dinge verheimlichen. Petzen bei Papa und Mama, natürlich, du hast immer das arme Hascherl gespielt. Du warst so klein und ich so groß, und Papa und Mama sind darauf hereingefallen.« Ich schaue so ruhig wie möglich zu den Berggipfeln in der Ferne. »Denk bloß nicht, dass du mit dieser neuen Geige deiner Karriere wieder auf die Sprünge helfen kannst.«
    Eine Pause entsteht. Sigrids Blick ist hinter ihrer Sonnenbrille nicht zu erkennen. Ich sehe nicht, ob sie mich anstarrt oder die Schäfchenwolken über den Bergen.
    Dann kommt Sigrid in Bewegung. Sie sticht ihr Messer in das Schnitzel, zerrt und reißt mit der Gabel ein Stück Fleisch ab.
    Â»Das Messer ist stumpf, und das Fleisch ist voller Sehnen«, sagt sie.
    Du bist selbst voller Sehnen, denke ich. Das findet Schwager Sjors auch.
    Â»Hier«, ich halte ihr mein Messer
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