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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut
Autoren: Lucette ter Borg
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Stradivari gebaut oder so. Da können wir uns anschauen, wie eine echte Geige aussieht.«
    Â»Was willst du mir eigentlich sagen?«, frage ich. »Du weißt doch, dass ich dort schon gewesen bin.«
    Â»Ich will gar nichts«, sagt Valentine. »Ich weiß nur, dass man nie zu alt ist, um zu lernen.«
    Valentine legt die Broschüre ab. »Es ist herrliches Wetter«, sagt sie. »Wir können eine Bergwanderung machen. Das ist gut für den Kreislauf.«
    Jetzt lache ich höhnisch. »Du, eine Bergwanderung?«, frage ich. »Für dich ist der Holterberg doch schon eine Besteigung. Wie willst du auf diese Alpengipfel raufkommen?«
    Â»Mit der Seilbahn«, sagt Valentine. »Es gibt zwei. Eine auf den Karwendel und eine auf den Kranzberg. Steht in dem Büchlein.«
    Die Aussicht, hoch in den Bergen zu sein, statt unten in einem Tal, muntert mich seltsamerweise auf.
    Â»Lass uns auf den Kranzberg fahren, dann haben wir Blick auf den Karwendel.«
    Â»Nein«, sagt Valentine, »ich will auf den Karwendel. Oben an der Bergstation ist ein Restaurant. Dort soll es herrlichen Kartoffelsalat mit Wurst geben.«
    Â»Ist gut«, sage ich. »Aber ich möchte nicht nur essen. Ich möchte auch was sehen.«
    Ich liege auf dem Rücken, ein Kissen unter dem Kopf, die Hände auf meinem Unterleib gefaltet, das Gesicht zur Decke gerichtet. Das Buch liegt, auf der ersten Seite aufgeschlagen, neben mir. Ich bin jetzt schon nicht mehr neugierig, wie es weitergeht. Mit jedem Zug Sauerstoff, den ich in meine Lunge sauge, fühle ich, wie mein Herz langsamer schlägt. Ich stecke meine bösen Gedanken in einen Karren und schiebe ihn auf den Gipfel des Berges. Ich schließe die Augen und koppele den Karren ab. Tschüss, Karren. Auf Nimmerwiedersehen.

16 Valentine
    Â»Was?«
    Â»Hab Höhenangst«, murmelt Sigrid. »Ich kriege schon Bauchschmerzen, wenn ich am Rand des Orchestergrabens stehe.«
    Â»Höhenangst? Seit wann?«
    Â»Schon immer«, antwortet Sigrid. »Weißt du das nicht mehr?« Sigrid verzieht das Gesicht. »Damals auf dem Keilberg, im Winter, es lag Schnee. Du hattest mich zum Skifahren mit Freundinnen mitgenommen. Ich hatte es noch nie gemacht. Ihr seid den Hang hinuntergefahren. Aber ich nicht. Ich hab mich nicht getraut, und ihr habt mich da oben fast erfrieren lassen.«
    Â»Du übertreibst immer so«, seufze ich. »Ich kann mich nicht daran erinnern. Ich fahre noch nicht mal gern Ski.«
    Â»Doch«, sagt Sigrid.
    Â»Du musst es ja wissen.« Ich gähne. »Gott sei Dank habe ich keinerlei Höhenangst. Gib mir ein Sprungbett, drei, sechs, neun Meter, macht mir nichts aus, ich springe sofort runter.«
    Â»Du bist seit Jahren nicht mehr von einem Sprungbrett gesprungen.« Sigrid lacht. »Wann hast du dich zum letzten Mal in einen Badeanzug gehievt? Passt du da überhaupt noch rein?«
    Wir stehen an der Kasse der Karwendelbahn und kaufen zwei Tickets nach oben. »Das Seil ist gar nicht mal so dick, an dem diese Bahn hängt«, zeige ich.
    Â»Ich habe das nicht, wenn ich auf einem Weg laufe«, sagt Sigrid. »Aber bei so viel Tiefe unter mir habe ich ­immer Angst, dass ich springe, wenn ich nur hinuntersehe. Als würden meine Beine selbst entscheiden, wohin sie gehen, ohne dass ich es ihnen erlaube.«
    Â»Ja, ja, das kennen wir.« Ich hole das Portemonnaie aus meiner Tasche und zähle zwölf Mark hin. Ein Vermögen. Davon esse ich zu Hause drei Tage lang, und dann habe ich noch Reste übrig für eine weitere Mahlzeit.
    Â»Wir schauen mal, wie es ist in dieser Seilbahn«, sage ich. »Wenn wir oben sind, entscheiden wir, ob wir runter laufen oder wieder mit der Seilbahn zurückfahren.«
    Â»Laufen finde ich weniger gruselig als an einem Draht zu hängen«, sagt Sigrid.
    Â»Ist gut. Dann laufen wir eben.«
    Eine Art Straßenbahnwagen gleitet surrend in die Station. Auf einem Schild lese ich, dass wir uns in 933 Metern Höhe befinden. »Und gleich«, ich blicke in das Faltblatt, das ich zusammen mit den Tickets bekommen habe, »gleich sind wir 2244 Meter hoch.« Ich stoße meine Schwester an: »Guck mal, wie steil diese Seile verlaufen.« Ich zeige auf die Spitzen der Tannenbäume, die Felsen darüber, ich muss den Kopf ganz in den Nacken legen.
    Sigrid schaut auf ihre Schuhe. »Wie viele Personen passen in diese
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