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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut
Autoren: Lucette ter Borg
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bläst mir Tränen in die Augen. Aber die Sonne strahlt. Schräg links oben, über dem Wettersteinmassiv, hängen ein paar Schäfchenwolken.
    Â»Liebe Wölkchen«, nennt Sigrid sie und setzt ihre Sonnenbrille auf.
    Mittenwald liegt unwirklich weit in der Tiefe, so weit, dass ich keinen Menschen, kein Auto, kein Tier mehr erkenne.
    Â»Wie eine Modelleisenbahn, bei der das Kind, das an den Knöpfen dreht, verlorengegangen ist«, sagt Sigrid. »Komm lieber wieder ein Stück zurück, Valentine. Du fällst noch über den Rand.«
    Â»Guck, der Bahnhof«, zeige ich.
    Â»Geh doch nicht so dicht ran«, höre ich Sigrid sagen.
    Â»Wenn du nach rechts schaust«, fahre ich fort, »liegt da die Kirche und gleich daneben ist unser Hotel.«
    Â»Komm zurück, Tine«, sagt Sigrid. »Huuh, ich finde es kalt hier.«
    Ich ignoriere die Angst in ihrer Stimme. Einen Bergrücken weiter sieht man die Seilbahn auf den Kranzberg. »Die können wir vielleicht morgen nehmen.«
    Â»Ich weiß nicht, ob ich noch mal in eine Seilbahn will. Für mich war das vorläufig genug.«
    Â»Prima, dann laufen wir zurück«, sage ich und drehe mich um.
    Â»Sind die Wege hier leicht begehbar?«
    Â»Natürlich«, sage ich. »Die Karwendelspitze ist das beliebteste Ziel in der Umgebung. Wenn ganze Rentnerscharen den Berg hochkommen, werden wir doch wohl in der Lage sein, diese anderthalb Kilometer hinunterzuwandern? Das kann sogar ich.«
    Â»Es wird also nicht zu steil? Wenn ich in der Mitte des Weges bleiben kann, versuchen wir es.«
    Â»Merkst du, wie viel kälter es hier ist als unten im Tal?«, frage ich. »Hast du auch genug an?«
    Sigrid nickt. Die Farbe ist auf ihre Wangen zurückgekehrt. Kerzengerade steht sie da, die Schultern nach hinten, den Kopf erhoben.
    Â»Wollen wir zuerst ein Stückchen laufen?«, schlägt sie vor.
    Â»Gut, ein kleines Stückchen«, antworte ich. »Um das Blut wieder in Gang zu bringen. Aber ich muss noch Kraft übrig behalten für den Abstieg heute Nachmittag.«
    Wir spazieren ein wenig auf dem Plateau hin und her. Immer wieder strömen frische Ladungen Bergsteiger aus der Seilbahnstation. Sie haben Steigeisen dabei, Wanderstöcke mit Stahlspitzen, Seile, Ferngläser um den Hals, und auch die Frauen tragen scheußliche Riesenschuhe bis zur Hälfte der Waden.
    Â»Die wollen klettern«, sagt Sigrid. »Nicht so wie wir, einfach gemütlich hinunterwandern. Nein, die machen richtige Hüttentouren. Spannend.«
    Â»Wie kannst du das sagen, wo du doch Höhenangst hast?«, frage ich.
    Â»Aber das ist etwas völlig anderes«, antwortet Sigrid. »Das ist so, so, so …«
    Â»Ja?«, frage ich.
    Es bleibt eine ganze Weile still.
    Â»Das ist so frei. Als könnten diese Bergsteiger überallhin, wo ihre Nase auch hinzeigt.«
    Â»Ich denke, wir sollten jetzt lieber etwas essen«, schlage ich vor. Die Terrasse der Berggaststätte in der Nähe füllt sich langsam. »Sonst gibt es womöglich keine Plätze mehr, und das Essen ist alle.«
    Wir steigen die Stufen zur Terrasse hinauf und suchen uns einen Tisch nicht zu dicht am Geländer.
    Â»Ich nehme Kartoffelsalat«, sage ich, »und zwei Currywürste. Ich bin wirklich gespannt.«
    Â»Worauf bist du gespannt?«, fragt Sigrid, die sich Schnitzel mit Pommes frites bestellt.
    Ich reibe mir die Hände. »Wie sie hier in Südbayern den Kartoffelsalat zubereiten. Jeder hat so seine eigene Art. Ich zum Beispiel mache ihn am liebsten mit Speck, einer klein geschnittenen Zwiebel, Gemüsebrühe und natürlich Öl, Essig und einem ordentlichen Esslöffel Senf.«
    Â»Denkst du auch mal an was anderes als ans Essen?« Sigrid lächelt, aber ich lache nicht zurück.
    Â»Ich brate die Speckwürfel in Butter aus, gebe die Zwiebel hinzu und ein bisschen Gemüsebrühe. Wenn alles lecker brodelt, gieße ich es in eine Schale mit gekochten Kartoffeln. Das Ganze muss man mindestens eine halbe Stunde stehen lassen, damit die Kartoffeln alle Säfte und Fette in sich aufsaugen und gesättigt werden von Geschmack und Geruch. Dann wird es zum Abkühlen in den Eisschrank gestellt.«
    Ich ziehe meinen Pullover aus. »Es ist ganz schön warm in der Sonne. Hast du an Sonnencreme gedacht?«
    Sigrid schüttelt den Kopf.
    Â»Ich schon«, sage ich und hole eine Tube aus meiner
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