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Falkenjagd

Falkenjagd

Titel: Falkenjagd
Autoren: Susanne Betz
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und
untersucht hatte. Trotzdem, das schnellere Klopfen ihres eigenen
Herzens zeigte ihr, dass es etwas ganz anderes war, das Lebenszentrum
eines Menschen zu berühren. Es lag erstaunlich frei in der Brusthöhle,
ein paar Schnitte mit der Schere, und es war gelöst.
    Zuerst sah sie sich die durchtrennten
Blutröhren an. Auch aus ihnen floss kein Blut. Überhaupt fiel auf, dass
sie merkwürdig eingefallen waren. Vorsichtig schnitt Friederike einen
fingerlangen Abschnitt heraus und zerlegte ihn gleich auf der
Tischplatte neben dem reglosen preußischen Oberschenkel. Wie gestockte
Milch hatte sich das Blut nach unten abgesetzt und stand einfach still.
Deshalb also! Jetzt verstand sie auch, warum die Haut des Toten immer
fahler wurde. Das Blut entfernte sich mehr und mehr von der Oberfläche
und konnte nicht mehr rosig hindurchschimmern. Zufrieden wischte sie
sich die Hände am Rock ab und atmete ein paar Mal tief durch. Jetzt war
es so weit.
    Langsam nahm sie es wie eine köstliche
faustgroße Frucht aus tropischen Ländern, die Robinson Crusoe gerade
erst nach Europa mitgebracht hatte, in beide Hände. Das Herz. Sie
staunte über sein seltenes Rot. Ein Rot, das Brombeeren annehmen, kurz
bevor sie sich schwarz färben. Sie staunte über diese pralle Schönheit.
Verzückt stand sie da und vergaß die Stunden, ihre Angst, sogar
Kersmackers neben sich und dass sie Markgräfin und früher einmal sehr
unglücklich gewesen war und draußen Krieg herrschte. Dieser Muskel, der
noch vor wenigen Stunden gezuckt und gearbeitet hatte, gab den Takt des
Lebens vor, ohne ihn stand alles still. Eine Erfindung, die alles
übertraf.
    Behutsam legte sie das Herz an seine Stelle
zurück und achtete darauf, dass die Schnittstellen zueinanderpassten.
Sie verfolgte die Röhren mit ihren Fingern. Diese hier, die rechts
mittig aus dem Herzen herausging, führte direkt zur Lunge. Auf der
linken Seite oben entdeckte sie weitere Verbindungen zwischen den
beiden Organen. Andere Adern führten vom Herzen tief in den Körper
hinein, andere kamen von dort zurück. Das also hatte Harvey gemeint.
Jetzt verstand sie ihn genau. Das Herz pumpte das Blut unentwegt und
ließ es durch die feinsten Gefäße bis hinunter in die Zehen strömen.
Jeder konnte es, wenn er sein Ohr auf die Brust eines lebendigen
Menschen legte, bei seiner Arbeit hören.
    Der Atem wiederum, der über Nase und Mund in die Lunge kam,
wurde dort ins Blut weitergegeben und mit auf die lebensspendende Reise
geschickt. Hatte der Mensch dem Blut seine Kräfte entzogen, kam es zum
Herzen zurück und musste von dort wieder zur Lunge gedrückt und neu mit
Luft versorgt werden. Die Ausdauer eines spielenden Kindes, eines die
Sense schwingenden Bauern oder eines verliebten Mädchen kam nur
zustande, wenn die kräftigenden Gase der Natur pausenlos wanderten.
Ohne diese Gase verlöschte und erkaltete alles Leben, so wie wenn man
einer Kerze ein Glas überstülpte. Ein unendlicher mechanischer
Kreislauf, nein, korrigierte sie sich, zwei unendliche Kreisläufe, die
nur zum Stillstand kamen, wenn jemand sie gewaltsam unterbrach oder die
menschliche Maschine durch Alter und Krankheiten von innen her zerstört
wurde. Friederike stöhnte. Wie genial! Vollkommener und anmutiger als
jedes Bild, verführerischer und eleganter als die berühmteste
Opernstimme.
    Jeder Mensch, davon war sie überzeugt, besaß
so eine Wundermaschine. Das Herz eines preußischen Offiziers
unterschied sich nicht von dem des preußischen Königs oder leibeigenen
Bauern. Wenn man einen Juden, einen Katholiken oder einen Protestanten
aufschnitt, konnte man aus seinem Inneren höchstwahrscheinlich nicht
auf seine Religion rückschließen. Und mein eigenes Herz funktioniert
nicht anders als das der Frau Wünschin!
    Warum aber gab es dann in der äußeren Welt, sinnierte
Friederike weiter, so viele Unterschiede? Warum sollten sie gottgewollt
sein, wenn die Natur uns mit unbestechlicher Vernunft im Inneren alle
gleich gemacht hat? Widersprachen sich Gott und Natur? Jetzt erschrak
Friederike sogar selbst über das Ausmaß ihrer Spekulationen. Wer hatte
recht und setzte sich durch? Gott oder die Natur?
    Nein, verbesserte sie sich, dieser Gott, der durch seine
angebliche Gnade einen Tyrannen auf den Thron setzt oder einen
kindischen Tölpel, ist eine Erfindung von uns. Die Wirklichkeit bewies
das hinlänglich.
    Demnach, folgerte die Markgräfin, musste die Aufteilung in
Adel und Bürgertum, in Getaufte und Heiden komplett unvernünftig
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