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Falkenjagd

Falkenjagd

Titel: Falkenjagd
Autoren: Susanne Betz
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hinter sie. Schweigend standen sie eine Weile
neben dem Verstorbenen. Dann drehte sich Friederike um und fragte:
»Wäre es eine Sünde, was meinen Sie, Kersmackers?«
    Dass sie ihm nicht erklären musste, was sie im Sinn hatte,
wusste sie.
    In seinem wettergegerbten Gesicht arbeitete es, und er kaute
seine Gedanken wie ein Stück zähen Speck. Schließlich antwortete er
bedächtig: »Wenn wir ihn wieder zunähen, dann ist er am Tage der
Auferstehung unversehrt, und auch die katholische Kirche, der ich
angehöre, könnte nichts einwenden. Er selbst ist ja wohl Lutherischer,
und seine Pfarrer sind sowieso großzügiger.«
    Friederike atmete tief durch. Ohne Kersmackers' Einverständnis
hätte sie nichts unternommen.
    »Also los, fangen wir an!«
    Friederike drängte aus gutem Grund zur Eile. Das, worüber sie
sich die vergangenen Tage gefreut hatten, nämlich dass gleich mit dem
ersten Juni eine schöne Wärme übers Land gekommen war, die die Saat
sprießen ließ, konnte jetzt zum Problem werden. Sowohl die Totenstarre
als auch die Fäulnis setzten schneller ein.
    Die Markgräfin schrubbte sich ihre Hände mit Seife. Ihr
flämischer Assistent machte es ihr, wenn auch etwas widerwillig, nach.
An ihr häufiges Waschen hatte er sich noch nicht so recht gewöhnt.
    Als Friederike den Offizier wieder berührte, stellte sie
erstaunt fest, dass sein Fleisch schon merkwürdig an Elastizität
verloren hatte und sich teigig, auf jeden Fall fester als das eines
Lebenden anfühlte. Gemeinsam mit Kersmackers schälte sie den Mann aus
seinem Hemd, so dass er ab der Hüfte nackt vor ihnen auf dem Holztisch
lag. Seine Rippen zeichneten sich deutlich unter der mit vielen kleinen
Muttermalen und Narben gesprenkelten Haut ab. Sie wunderte sich über
die wirre rotblonde Wolle auf seiner Brust, die so gar nicht zu den
dunklen Haaren auf seinem Kopf passte. O mein Gott, schoss es
Friederike plötzlich durch den Kopf, wo ist seine Perücke? Ist sie
draußen verloren gegangen, so dass die Preußen sie finden können? Wie
so oft verstand Kersmackers sie ohne Worte.
    »Sie wird gerade zusammen mit dem Uniformrock und seinem
Dreispitz verbrannt«, brummte er.
    Sie nickte anerkennend. Jetzt bemerkte sie noch eine weitere
Veränderung. Die vor einer knappen Stunde fiebrig glänzenden Augen des
Offiziers waren trüb geworden. Für einen Moment schämte sie sich und
drückte ihm, wie es sich gleich gehört hätte, die Lider zu. Ihr Blick
fiel auf seine fahlen Lippen. Auch seine Haut schimmerte inzwischen
merkwürdig grau. Dabei dürfte nach ihrer Schätzung kaum mehr als eine
Viertelmetze Blut aus ihm herausgelaufen sein. Wie konnte er da seine
rosige Farbe verlieren? Auch dieses Geheimnis, so nahm sie sich vor,
während sie ihre Werkzeuge richtete, wollte sie lüften.
    Sie begann damit, die Haut vom Nabel bis hoch zum Hals eine
Daumenlänge nach der anderen aufzuschneiden. Es fühlte sich an, als
würde sie einen Apfel einritzen. Schicht für Schicht arbeitete sie sich
nach innen. Dabei überlegte sie, ob er ein fröhlicher oder eher ein
trübsinniger Mensch gewesen war, gutherzig oder grausam zu seinen
Untergebenen und Feinden. Seine Gesichtszüge gaben nichts preis. Der
Tod hatte ihm die Persönlichkeit längst geraubt. Und die Seele? Hätten
sie ein Fenster öffnen sollen? Friederike überkam Ärger über die eigene
Sentimentalität. Sie riss sich zusammen und konzentrierte sich wieder
auf das, was sie sehen und anfassen konnte.
    Nach kurzer Zeit stieß ihre Lanzette auf
mehr Widerstand. Die Sehnen. Für die, das wusste sie von ihrer Arbeit
mit Tieren, brauchte sie mehr Kraft. Sie stellte sich vor, die Haut
einer Orange durchzuschneiden. Diese Bilder im Kopf machten es ihr
leichter, ihre Nervosität unter Kontrolle zu halten, denn jetzt, da sie
endlich das durchführen konnte, auf was sie so viele Jahre gelauert
hatte wie eine alte Jungfer auf den ersten und einzigen Kuss, beschlich
sie eine lähmende Beklommenheit. Tat sie doch etwas, was nicht rechtens
war? Für das Frauen ins Zuchthaus gesteckt werden konnten? Übertrat sie
eine Schwelle, die ins Unmoralische, Ketzerische führte?
    Sie musste innehalten und sich aufrichten. Ihre Hände
zitterten. Sie legte die Lanzette auf die Tischplatte. Seit sie mit der
Sektion angefangen hatten, waren schon fast zwei Stunden vergangen. Ich
muss weitermachen, pochte es in ihren Schläfen. Ich muss mich beeilen.
Bald wird er starr, oder das preußische Korps stürmt mein Schloss. In
dem Moment färbte sich
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