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Falkenjagd

Falkenjagd

Titel: Falkenjagd
Autoren: Susanne Betz
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der weiße Stoff zwischen seinen Beinen dunkel.
Seine Blase hatte Urin abgelassen. Kersmackers lachte dunkel auf. Dann
schenkte er mit der größten Selbstverständlichkeit ein Glas Wein ein
und reichte es ihr. Sah er ihr den schwindenden Mut an? Wortlos nahm
Friederike ein paar Schlucke.
    Sie hörte seine ruhige, feste Stimme: »Ihr habt damals
Kartoffeln anpflanzen lassen, wie es die englischen und flämischen
Grafen und Großbauern schon seit Jahrzehnten getan haben, und dabei das
ganze Dorf vor dem Verhungern bewahrt. Warum sollt Ihr da nicht
forschen und der Wissenschaft weiterhelfen wie die Herren in London,
Padua, Leyden und sonst wo?«
    Sie drehte sich ihm zu und schaute ihm ein paar Sekunden
forschend in die Augen. Nein, Kersmackers redete seiner Herrschaft
nicht nach dem Mund. Er meinte aufrichtig, was er sagte.
    »Wenn Sie meinen, Kersmackers«, sagte sie nach einem Zögern
und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. Mit
entschlossener Stimme fügte sie hinzu: »Der arme Kerl wird ohnehin
nicht mehr lebendig. Wir aber leben, und unsere Aufgabe ist es, das
Leben zu erforschen. Dazu brauchen wir ihn. Das und nur das ist
vernünftig, alles andere ist Dunkelheit und Dummheit, in die sich die
Menschheit lang genug verkrochen hat.«
    Friederike leerte das Glas Wein in einem Zug und griff erneut
nach ihrer Lanzette. Als sie wieder im Bauchraum schnitt, wunderte sie
sich, dass überhaupt kein Blut floss. Die Klinge sank jetzt buttrig
ein. Das Fett. Sie hatte das Fett erreicht, eine gelbe weiche Masse.
Sie schnitt tiefer, kam zu den Muskeln und musste viel Kraft aufwenden,
um sie zu zerlegen. Dann konnte sie den Schnitt auseinanderdehnen, und
die Bauchhöhle lag offen vor ihr. Die schlüpfrige Masse des
Zellgewebes, der ölige Schleim des Fettes an ihren Fingern, ließ sie
schaudern. Das Gekröse fasste sich kalt und schlüpfrig an und schien
sich zu regen. Ihre Hände sehnten sich nach warmem Waschwasser.
    Sie winkte Kersmackers näher, er sollte ihr mit einer Kerze
zusätzliches Licht geben, denn das Tageslicht reichte nicht mehr aus.
Sie ließ den Leib aufklaffen und betrachtete fasziniert die
perlmuttschimmernde, sich windende Schlange des Darms.
    »Wunderschön, Kersmackers, wunderschön«, murmelte sie.
    Aber was sie wirklich interessierte, lag weiter oben. Sie
versuchte zunächst mit einer Schere die Rippenknochen durchzuschneiden.
Sie drückte, so fest sie konnte, hörte es knirschen, schaffte es aber
nicht. Da reichte ihr Kersmackers auch schon eine kleine Säge. Sie
stemmte sich mit der linken Hand auf die Brust des Offiziers und sägte
mit der rechten. Es knackte wie ein brechender Ast. Die erste Rippe war
durch, bald die zweite und dritte. Zum Schluss wurde es noch einmal
schwierig. Sie mussten sich anstrengen, den aufgeschnittenen Brustkorb
auseinanderzudrücken, aber sobald die Rippenbögen eine Handbreit
aufklafften und Friederike und ihr Assistent sie losließen, schlossen
sie sich wieder.
    Kersmackers zögerte einen Moment, kratzte sich am Bart,
verschwand dann kurz und kam mit einem stabilen kleinen Brett zurück.
Beim nächsten Auseinanderbiegen klemmten sie es einfach zwischen die
Rippen. Der Spalt war so breit, dass sie gut darin hantieren konnte.
Auf ihr Zeichen hielt Kersmackers die Kerze ganz nah an die Öffnung.
    Als Erstes nahm sie ein ziegelrotes, mit netzartiger Zeichnung
überzogenes Organ wahr, das sie als Lunge identifizierte. Spontan
drückte sie darauf. Aus dem Mund des Offiziers zischte es leise, aber
deutlich hörbar. Kersmackers fiel vor Schreck beinahe die Kerze aus der
Hand. Auch Friederike zuckte zusammen, für einen Moment starrte sie
ihren Assistenten ratlos an. Dann aber begriff sie, dass sie soeben die
noch in der Lunge verbliebene Luft herausgedrückt hatte. Das, was sie
in all den Jahren gelesen und nur auf Stichen angeschaut hatte,
verknüpfte sich jetzt zu einem wirklichen Zusammenhang und ergab Sinn.
    So also funktionierte das Atmen! So arbeiteten Lunge, Mund und
Nase wie die Räder in einem Uhrwerk zusammen! In diesem unbeirrbaren
Kreis bewegte sich die Luft, die sie, egal, ob sie nach florentinischem
Parfüm duftete oder nach Kuhmist stank, vom ersten Schrei bis zum
letzten Atemzug verzehrten. Ein großes Glücksgefühl durchströmte
Friederike, und sie schob die Lunge ein wenig beiseite, da sie schon
das Herz sah. Es war von einem glänzenden Häutchen bedeckt und ähnelte
auffallend den Schweineherzen, die sie schon so oft aufgeschnitten
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