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Falkenjagd

Falkenjagd

Titel: Falkenjagd
Autoren: Susanne Betz
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hatte längst selbst die
Welt ihrer Ordnung entrückt.
    Friederike streifte sich gerade einen Umhang
über und wollte nach unten gehen, als das Gebrüll einsetzte. Keine
preußischen Stimmen, sondern die weicheren der fränkischen Bauern
drangen zu ihr hoch. Sie eilte wieder zum Fenster. Fackeln erleuchteten
wutverzerrte Gesichter. Ein kleines Heer Mistgabeln tanzte mit den
Zinken nach oben über den Schlossplatz. Die Burschen, die gestern noch
gedüngt hatten, wollten jetzt kämpfen.
    Ein Schuss krachte in dem Moment, in dem Caroline und ein
Diener zu ihr ins Zimmer stürzten. Dann ein zweiter. Das Brüllen
schwoll an, wie früher das des alten Löwen in der Triesdorfer
Menagerie, wenn die Höflinge ihn ärgerten.
    Das ganze Dorf schien auf den Beinen zu sein, zornig und
entschlossen, sich und vor allem auch die Markgräfin zu verteidigen.
Atemlos sah Friederike zu, wie die beiden Soldaten von der Menge
erfasst und niedergeknüppelt wurden. Sie hörte stampfende Füße, spitze,
dann gurgelnde Schreie, und ihr war klar, dass ihnen jetzt
wahrscheinlich eine Sense oder eine Mistgabel in den Leib gerammt wurde.
    Zwei Minuten später stand sie, kaum ordentlich angezogen, am
Tor. Aus den aufgerissenen Mündern der Bauern dampfte es. Nur langsam
drehten sie ihre Sensen und Mistgabeln nach unten. Ihr Schweiß roch
warm und vertraut. Sie kannte fast alle beim Namen. Karl, der Schmied,
mit seinem kantigen Schädel und den Kinderaugen. Wilhelm Nördlinger,
der das beste Bier braute. Der junge, gut aussehende Korbinian, Sohn
des größten Bauern, mit dem Caroline vor Jahr und Tag im Gras gelegen
hatte.
    Sie alle schauten sie jetzt an. Nicht ängstlich, verstockt
oder demütig wie damals, als sie zum ersten Mal nach Schwaningen
gekommen war. Auch nicht bockig wie beim ersten Kartoffelpflanzen.
Sondern so stolz, verwegen und freimütig, wie sie diese einfachen
Männer vorher noch nie erlebt hatte.
    »Bringt Bier, Brot und Speck für alle«, befahl sie den beiden
ängstlichen Lakaien hinter sich. Dann erst sah sie ihn. Er lag auf dem
Boden. Die Männer wichen zur Seite, um sie durchzulassen. Es war der
Offizier. Er röchelte leise, dabei quoll ihm ein Rinnsal dunkles Blut
aus dem Mund. Was das bedeutete, wusste sie. Äußerlich sah er nicht
schwer verwundet aus. Sein Dreispitz war übel zerknautscht, sein linkes
Bein merkwürdig verdreht. Er hatte noch nicht das Bewusstsein verloren,
er biss aber die Zähne zusammen und schwieg. Ihr Vater und ihr Bruder
wären stolz auf ihn gewesen.
    Auf einmal konnte Friederike wieder schnell handeln. Sie
befahl, die beiden Toten umgehend zusammen mit der vorgestern mit über
achtzig Jahren verstorbenen Meierin in einem Grab zu beerdigen.
    »Dass bloß keiner die Gewehre behält«, warnte sie und schaute
streng in die Runde, »es dürfen keine Spuren zu finden sein. Keine! Die
Preußen würden sich furchtbar an uns allen rächen, verstanden?«
    Alle nickten und dankten wieder einmal Gott, dass er ihnen
eine so gescheite Markgräfin geschickt hatte. Den verwundeten Offizier
trugen die Lakaien vorsichtig ins Schloss. In wenigen Minuten löste
sich der Spuk auf. Die Morgensonne leckte schon über den Platz vor dem
Schloss. Friederikes Stallarbeiter schwemmten die Blutlachen fort.
    Sie schätzte ihn auf Ende zwanzig,
vielleicht dreißig. Sprechen konnte er nicht mehr, aber seine glasigen
Augen verfolgten jede ihrer Handbewegungen. Wusste er, ahnte er, wer
sie war? Friederike ließ Kersmackers die Beinkleider und die
Uniformjacke aufschneiden. Dann erst sah sie auf seiner rechten Seite
die kleine, aber tiefe Wunde. Das bestätigte ihre Vermutung, dass er
schwere innere Verletzungen erlitten hatte. Sie sah ihm ins Gesicht.
Wartete irgendwo auf einem Rittergut in der Altmark eine Frau auf ihn?
Wiegte sie gerade sein Kind? Sicher aber hatte er eine Mutter und eine
Schwester, die bald um ihn trauern würden. Sie konnte wenig mehr für
ihn tun, als seine Wunden auszuwaschen und ihm verdünntes Opium gegen
die Schmerzen einzuflößen. An die heranrückende preußische Armee dachte
sie überhaupt nicht mehr. Es blieb auch den ganzen Tag über still.
    Gegen fünf Uhr nachmittags fing er an, heftig zu würgen, und
spie fast schwarzes Blut. Während sie ihm die Hand hielt, beobachtete
sie, wie er immer flacher atmete. Auf einmal wurden seine Augen starr,
der Mund blieb offen stehen, das Kinn sackte ab. Obwohl sie sich sicher
war, hielt sie ihm einen Spiegel vor den Mund. Er beschlug nicht.
    Kersmackers trat
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