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Falkenjagd

Falkenjagd

Titel: Falkenjagd
Autoren: Susanne Betz
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darüber nachdachte, ob es gut für die Markgräfin war, all die
Jahre einsam in Schwaningen zu verbringen. Die Frage, ob sie glücklich
war, wagte er sich erst gar nicht zu stellen, geschweige denn zu
beantworten.
    Als er heute in ihr Experimentierzimmer
trat, saß sie schon da. Sie betrachtete gerade eine der Wachsfiguren,
die sie sich aus Florenz hatte kommen lassen. Täuschend echte
Nachbildungen des menschlichen Körpers, geschaffen von Künstlern, die
Blut- und Lymphgefäße aus mit farbigem Wachs getränkten Baumwollfäden
einzogen und Muskelfasern mit Draht ritzten. Doch irgendwie spürte er
gleich, dass eine andere Stimmung herrschte als sonst. Ohne etwas außer
guten Morgen zu sagen, scheuerte er den Seziertisch und wartete ab.
    »Kersmackers«, sagte sie nach einer Weile, drehte sich aber
nicht zu ihm um, »mein Bruder Heinrich hat mir in aller Heimlichkeit
aus Rheinsberg geschrieben. Er rät mir dringend, das Markgrafentum zu
verlassen. Die Wut des Königs, so meint er, sei grenzenlos.«
    Kersmackers schrubbte weiter die Blutspuren weg, die gestern
ein Ferkel hinterlassen hatte. Er wusste, dass sie keine Antwort,
sondern nur ihre Gedanken sortieren wollte.
    »Ich fürchte«, sprach sie zögernd weiter, »der Markgraf
schätzt die Lage nicht realistisch genug ein. Er kann sich
wahrscheinlich immer noch nicht vorstellen, zu was mein Bruder fähig
ist.«
    Jetzt erlaubte sich Kersmackers doch eine Bemerkung: »Der
Markgraf ist ein hitziger, aber guter Mensch.«
    »Ja, Kersmackers, da hat er wahrscheinlich recht. Genau das
Gegenteil des Königs.«
    Der Flame hatte seine Arbeit beendet, räumte seine
Putzutensilien weg, stellte sich dann aber mitten in den Raum, kratzte
an seinen rotblonden Bartstoppeln und fragte: »Was wollen Ihre
Königliche Hoheit jetzt also unternehmen?«
    Kersmackers erschrak. Die sonst so entschlossene und
selbstsichere Markgräfin schaute ihn nur ratlos an und zuckte mit den
Schultern. Für einen Moment schwirrte eine Erinnerung vor seinen Augen.
Er hörte von Ferne eine Hundemeute bellen, und einer seiner Rockknöpfe,
an dem der Markgraf wieder einmal gedreht hatte, sprang ab und kullerte
in den Dreck. Die junge Markgräfin, die gerade eben erst nach Ansbach
geheiratet hatte, sprach ihn, den unbedeutenden flämischen Falkner an,
so dass der Hofstaat glotzte. Verlegen erschien sie ihm damals und
bezaubernd. War es achtundzwanzig Jahre her oder vielleicht schon
neunundzwanzig? Sie hatte ihn gefragt, ob es in seiner Familie schon
immer runde Köpfe gegeben habe. Das vergaß er in all den Jahren nicht.
Auch nicht, dass sie auf eine ganz bestimmte Art mit den Schultern
gezuckt hatte, unsicher, wie es mit ihr und ihren vielen Fragen
weitergehen sollte.
    Der Frühling machte sich geräuschvoll und
geschäftig bemerkbar. Manchen kam es später so vor, als ob die
Mehlschwalben noch nie so lärmend um die Ställe gesegelt wären und
geschäftig ihre kugelrunden Nester an die Wände geklebt hätten wie in
diesem Jahr. Blüten schossen über Nacht größer und duftender, als man
sich erinnern konnte, aus den Knospen.
    Friederike trieb ihre Verwalter an, noch mehr Felder
bestellen, noch schneller Saatkartoffeln setzen zu lassen. Sie schaute
hier, kontrollierte dort und hatte immer gleich schon die Anordnungen
für den nächsten Tag dabei. Selbst Caroline, die sie jetzt schon so
lange kannte, wunderte sich über ihre Rastlosigkeit. Friederike
vertraute niemandem an, dass sie große Angst hatte.
    Ende April kam ein Brief von Karl Heinrich
von Gleichen aus Kopenhagen. Sie trug ihn einen Tag lang ungeöffnet in
ihrem Mieder. Wollte er ihr seine Vermählung mit einem jungen
Freifräulein mitteilen? Oder führte ihn vielleicht ein Auftrag des
dänischen Königs in ihre Nähe? Die Ungewissheit zu ertragen schien ihr
zuerst einfacher zu sein, als sich mit einer vielleicht schmerzhaften
Neuigkeit abfinden zu müssen. Das, was sie dann doch schließlich
spätnachts las, enthielt kein einziges zärtliches Wort. Es war aber
trotzdem, so fand sie, die einzige Liebeserklärung, die sie je bekommen
hatte.
    Friederike, ich sorge mich um Ihr Leben,
verlassen Sie so schnell wie möglich Ansbacher Gebiet. Der Herzog von
Württemberg wird Ihnen auf jeden Fall Schutz bieten.
    Karl Heinrich.
    Friederike blieb. Anfang Mai desselben
Jahres erfuhr sie aus Ansbach, dass der Markgraf vor Kummer und Sorge
wieder einmal nicht mehr aufstand. Seine geliebte Wünschin, die Frau
von Falkenhausen, hatte unerklärliche Blutungen und
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